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Leichenberg 03/2016

 

Das zerstörte Leben des Wes Trench

Country Noir ist zu einem beliebten Schlagwort geworden, wenn es darum geht, Kriminalromane, die nicht in urbanen Zentren spielen, irgendwie schnell zu verorten. Das aber kann tückisch sein. Zum Beispiel Tom Coopers Romanerstling Das zerstörte Leben des Wes Trench (Ullstein). Der Hintergrund des Buches ist in der Tat finster: 2010 explodierte die Ölplattform Deepwater Horizon und verheerte die Biotope an den Küsten von Texas und Louisiana. Besonders schlimm traf es die Bayous und den dort wichtigsten Wirtschaftszweig, die Shrimpsfischerei. Der titelgebende Wes Trench ist nur eine Figur aus einem ganzen Ensemble von Menschen, an denen Cooper die Folgen einer solchen Katastrophe nachzeichnet. Trench ist der Sohn eines gescheiterten Fischers und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, unter anderem auf dem Boot eines anderen Kapitäns namens Lindquist. Auch dessen wirtschaftliche Lage ist bedrohlich, zudem ist seine schicke Armprothese abhandengekommen, aber er glaubt fest an den Erfolg seiner Schatzsucherei, die er mit einem Metalldetektor manisch betreibt und dem Irrsinn immer näher kommt. Dabei stört er die Kreise der Brüder Troup, die auf einer Bayou-Insel eine riesige Marihuanaplantage angelegt haben. Über das Drogenlager dieser beiden Killertypen stolpern zwei Ex-Knackis, die fette Beute wittern. Fette Provisionsbeute macht auch ein Agent der Ölfirma, der den in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Bayou-Bewohnern unsittliche Entschädigungsangebote macht, die die zähneknirschend akzeptieren müssen, um überhaupt überleben zu können. Es gibt Mord, bizarre Alligatorattacken, den üblichen korrupten Sheriff und andere einschlägige Plot-Elemente mehr. Country Noir, ganz klassisch, möchte man meinen. Aber Cooper arrangiert diese Elemente so, dass sie eben nicht auf den großen Clash hinauslaufen, nicht auf die vorprogrammierte, eiserne Klammer, die am Ende eine Noirs zu stehen hat, der zu Folge die Welt ausweglos schlecht zu sein habe, nirgends Hoffnung, nirgends Trost sei. Aber Plot interessiert Cooper nicht, er setzt auf seine Figuren und deren Autonomie gegenüber einer bestimmten Erzählkonvention. Sie werden eben nicht reine Erzählfunktionen eines präfigurierten Narrativs. Deswegen ist der Roman aber keinesfalls blauäugig und naiv und zukunftsgläubig, sondern einfach freier, flexibler und komplexer, als es ein strammer Noir sein könnte. Ein autosubversiver Country Noir vielleicht, aber auf jeden Fall ein großartiger Roman.

Porkchoppers

Beim Alexander Verlag schreitet die Ross Thomas-Werkausgabe voran, zweifelsohne einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, um's mal bescheiden zu formulieren. Jetzt also die Porkchoppers, bisher nur um fast zwei Drittel gekürzt unter dem Titel »Wahlparole: Mord« auf Deutsch erhältlich gewesen. Wenn man bei einem so kühl distanzierten Autor wie Ross Thomas überhaupt davon sprechen kann - Porkchoppers ist sein "persönlichstes Buch", also das mit am meisten Ross Thomas himself drin. Der Roman von 1973 dreht sich um den Wahlkampf von zwei Kandidaten um den Vorsitz einer nicht ganz unbedeutenden Gewerkschaft, ein Milieu das Thomas bis ins Detail kannte, weil er selbst Wahlkampagnen dieser Art lange Jahre beraten hat. Natürlich ist das kein biographischer Roman, aber viele, auf die verschiedenen Figuren verteilte Charakterzüge des Autors finden sich durchaus. Zudem ist das Buch auch ein eindrucksvolles Porträt eines Alkoholikers, so klischeefrei und treffend, so detailreich und subtil, dass viele Züge des Ex-Alkoholikers Ross Thomas durchschimmern. Auch wenn der Roman im Vergleich zu seinen anderen Büchern sich viel Zeit und Raum für explizite Charakterschilderungen nimmt (ansonsten greift Ross Thomas eher zu einer ausgefuchsten Poetik der Beschreibung), ist er dennoch ein giftiger, bösartiger und was die Mechanismen von Macht, Medien und Gewalt betrifft, immer noch aktueller Roman. Genaugenommen ein wunderbar komprimierter Katalog der menschlichen Gemeinheit und moralischen Indolenz, die das System am Laufen halten.

Trügerische Gewissheit

Eher eine kleine, schmale Parabel zum Thema "Schein und Sein" ist Gianrico Carofiglios Trügerische Gewissheit (Folio). Das Büchlein erzählt ganz unscheinbar und bescheiden, was passieren kann, wenn eine Mordermittlung sich mit den offenbaren Fakten zufrieden gibt, und nicht auf die Signifikanz dessen achtet, was nicht im Fokus steht. Also die Conan Doyleschen Absenzen nicht beachtet. Carofiglio interessiert dabei allerdings nicht so sehr der Meta-Aspekt des Themas (also die Poetologie des Kriminalromans), sondern die moralischen Implikationen des Gedankenspiels, wenn es auf menschliche Schicksale angewendet wird. Dass der Roman dabei 1989 in Bari spielt, ist nicht allzu wichtig, bietet aber ein nettes Surplus von Zeit und Ort.

Germany

Ein aus verschiedenen Gründen lustiges Buch ist Germany von Don Winslow (Droemer). Sein aktueller Serienheld Frank Decker, der vermisste Menschen aufspürt, lässt sich von einem Ex-Marine Kumpel anheuern, um dessen verschwundene Gattin zu finden, die er in den Fängen böser Gangster wähnt, die diesen Engel in Menschgestalt der Zwangsprostitution zuzuführen drohen. Oder so. Deswegen muss Decker quer durch Deutschland (ein riesiges Bordell, könnte man meinen) reisen, unter anderem in die Zentren des Organisierten Verbrechens hierzulande wie Saarbrücken, Lüneburg und Erfurt. Dabei stellt sich heraus, dass Frauen, besonders schöne und kluge, betrüblicherweise fiese, eiskalte Schlampen sind. Verbrecher sind, neben ein paar eher benevolenten schwarzen Gangstas, vornehmlich Russen und Ukrainer. Reiche Leute feiern Orgien und sind ganz böse. Ex-Marines sind treu, außer sie sind reich, dann siehe oben. Ex-Marines töten die Bösen rudelweise und ganz alleine. Und weil Decker auch haufenweise Böse umbringt und ein wenig foltert, muss er sich andauernd fragen, ob er auch böse sei. Ist er aber nicht, weil man Böse eigentlich nur umbringen und ein wenig foltern kann, wenn man das Herz auf dem rechten Fleck trägt. Man muss eben gemein sein, wenn man Gutes tut, das ist alternativlos. Und wenn man die amerikanische Kleinstadt als normativen, wenn auch ein bisschen langweiligen Wertmaßstab hat. Das Ganze ist so hochauflösend, überraschend, originell, unvorhersehbar, klischeefrei, stimmig geplottet, virtuos und blauäugig erzählt, dass es früher glatt als Heftchenroman durchgegangen wäre. Aber eins muss man Winslow lassen: Man kann vor lauter Fassungslosigkeit nicht aufhören, das Teil auf einen Happs durchzulesen.

Paradox auch Mattias Boströms Fan-Buch Von Mr. Holmes zu Sherlock. Meisterdetektiv. Mythos. Medienstar (btb). Im bieder-gemütlich-harmlosen Plauderton gehalten, das Publikum keine Sekunde lang mit irgendwelchen Gedanken belästigend, kein kritisches Wort, kein Zweifel an der Erhabenheit des Meisters andeutend, ist dennoch eine recht lehrreiche Medien-Geschichte einer literarischen Figur entstanden, die kaum einen Aspekt der verschiedenen Transformationen der Holmes & Watson-Saga in Film, TV, Theater, Hörspiel und anderen Adaptionsformen auslässt. Ein Steinbruch auch zur Geschichte des internationalen Copyrights dazu. Und natürlich ein riesiger Fan-Shop von Holmes-Devotionalien. Sehr brauchbar für Fußnoten aller Art.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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