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Leichenberg 04/2015

 

Sturm über New Orleans

Mit Regengötter (Heyne) war James Lee Burke Ende letzten Jahres eine paukenschlagartige Rückkehr auf den deutschsprachigen Markt gelungen. Da fügte es sich prächtig, dass sich im Nachlass des 2011 leider verstorbenen Übersetzers Georg Schmidt eine Übersetzung von Burkes »The Tin Roof Blowdown« (2007) - den sechzehnten von zwanzig Romanen um die Hauptfigur Dave Robicheaux - fand. Jetzt also Sturm über New Orleans (Pendragon), sozusagen zur 10-Jahres-Feier von Hurricane Katrina, der im August 2005 New Orleans in Trümmer gelegt hatte. Katrina war in der Tat nicht nur eine furchtbare Naturkatastrophe, sondern auch ein politisches Debakel, "der denkbar größte Verrat einer Regierung an der eigenen Bevölkerung. Es war ein Verbrechen. Eine nationale Schande." So schreibt Burke im Vorwort für die deutsche Ausgabe. Und in der Tat ist der Roman ein wütendes Buch, eine wilde Anklage gegen das Handling der Bush-Regierung, die aus der Katastrophe versuchte, möglichst viel Profit für ihre Klientel herauszuholen. So sehr wir uns freuen, Dave Robicheaux und seinen Kumpel Clete Purcel wieder zu treffen und uns an den absolut meisterhaften Schilderungen der Bayous von Louisiana und ihren schrägen Bewohnern zu weiden - die 20 Robicheaux-Romane wurden nicht ganz vollständig nur bis 2002 übersetzt, dann bis jetzt gar nicht mehr -, so stimmt leider auch, dass Sturm über New Orleans nicht unbedingt Burkes Meisterwerk ist. Zuviel Gott und Metaphysik, zu unplausibel der Plot (irgendwas mit Blutdiamanten und Terroristen, reuigen Plünderern und bösen Gattinnen) und dann doch zu unspezifisch die Schilderungen des Chaos von Katrina - Sara Gran hat mit ihrem Roman »Die Stadt der Toten« die beeindruckendere und "irrere" Variante zum Thema geliefert. Was natürlich nicht heißen soll, dass Burkes Buch schlecht ist. Aber kein Hammer-Buch wie »Regengötter« - und hoffentlich wirklich der Auftakt für noch nicht übersetzte Robicheaux-Romane, acht Stück warten darauf.

Prime Cut

Ein charmanter Cop-Roman kommt aus Australien - neben Südafrika das spannende Krimi-Land im Moment: Prime Cut (Nautilus) heißt der Erstling von Alan Carter. Cato Kwong ist bei der Mordkommission in Ungnade gefallen (er hatte einem ekligen Vorgesetzten geholfen eine Mordermittlung zu manipulieren, was aufgeflogen und natürlich nicht dem Chef auf die Füße geknallt war) und muss bei einer Einheit für Viehdiebstahl in der Provinz Dienst machen. Aber dann wird ausgerechnet Hopetoun, eine Retortenstadt im westaustralischen Bergbau-Gebiet Schauplatz mehrerer Verbrechen, die miteinander zu tun haben - oder auch nicht. Cato Kwong weil gerade in der Gegend, könnte sich rehabilitieren. Prime Cut steht deutlich in der Tradition von Garry Dishers Hal-Challis-Romanen - komplex, gesellschaftspolitisch hell wach, intelligent, mit richtigen Menschen als Figuren und einem Feeling für Ort und Zeit und einem schönen Sinn für suspense. Sehr erfreulich.

Pfingstopfer

Großartig auch Ulrich Woelks Variation eines klassischen Ermittlerkrimis, mit einer Leiche am Anfang - Hieronymus Bosch lässt grüßen - und einem Täter am Ende. Pfingstopfer (dtv) ist aber entgegen alle Befürchtungen wegen des inzwischen durch abertausende von miesen Grimmis zuschandengeschriebenen Musters, ein Buch voller intelligenter Komplexionen, Wendungen und spannender Konstellationen. Letzteres, weil Woelk die beiden Hauptfiguren seines Kriminalromans »Die letzte Vorstellung« (von 2002) sich wieder begegnen lässt, also nachschaut, wie es seinen Figuren nach einem Jahrzehnt so geht. Subtext des Buch ist religiöser Fundamentalismus - nein, nicht der islamische, sondern der christliche und dessen allmähliches, fatal effizientes Einsickern in unsere Gesellschaft, die davor fest die Augen zumacht oder möglicherweise gar nichts an der dort propagierten heiligen Schlichtheit des Denkens, resp. dessen Ersetzen durch Gefühligkeits- und Emotionskitsch auszusetzen hat. Das führt zwangsläufig zu Mord & Blut.

Die Entführung des Generals

Sehr spannend, ganz als ob's ein Roman von Eric Ambler wär, Patrick Leigh Fermors Die Entführung des Generals (Dörlemann). Kein Roman, sondern eine Art "Bericht" des an der Kommando-Aktion der britischen "Special Operations Executive" beteiligten Autors, über das Kidnappen eines deutschen Generals auf Kreta im Jahr 1944. Die brillante Prosa von Leigh Fermor, nicht umsonst einer der wichtigsten "Reiseschriftsteller" ever, schildert im Grunde ein Debakel - der falsche General, zur falschen Zeit, mit fatalen Konsequenzen für die kretische Bevölkerung wegen der deutschen Rachegräuel. Es gibt einen britischen Kriegsfilm zum Thema "Ill met by moonlight" - das Buch (hervorragend mit Kontexten ausgestattet und bibliophil gestaltet) thematisiert die vielen nicht minder spannenden Dimensionen einer solcher Aktion. Ein kleines Juwel.

Paris, die Nacht

Paris, die Nacht (Polar Verlag) ist der erste Teil einer Trilogie Pariser Nacht-Stücke des 1988 (!!!) geborenen Romanciers Jérémie Guez, ein schlankes Stück Prosa über zwei jugendliche Kleinkriminelle, die die falschen Leuten beklauen - George V. Higgins' »Cogan's Trade« (dt: «Ich töte lieber sanft») lässt grüßen. Ganz sicher eine wunderbare Paris-Hommage, als literarischer Text irgendwo zwischen Jean Genet, Juan Damonte, Francesco de Filippo, Jean-Patrick Manchette und Derek Raymond's »Cauchemare Dans La Rue« oszillierend, und als Paris-Stück näher an dem großen Atmosphärenmacher Simenon, als man vielleicht wahrhaben möchte. Delirant und an den richtigen Stellen robust. Eine echte Entdeckung, bei der ich gespannt bin, wann der Autor seine ganz eigene Stimme entwickelt haben wird und wie die sich dann anhört. Dass es so kommen wird, steht außer Frage. Guez ist ein Riesentalent.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

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