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Leichenberg 05/2004

 

Der Schrei des Eisvogels Gute Literatur darf alles. Zum Beispiel einen Roman mit dem Showdown beginnen, diesen Showdown viel später als Fake demaskieren und die ganze Handlung auf ein grosses Nichts zurasen lassen und dabei den Leser mit nichts als seiner eigenen (versauten?) Fantasie zum Nägelkauen bringen, das ist atemberaubend kühn. Und könnte sowas von in die Hose gehen, wenn ein minderer Geist sich daran gewagt hätte. Reginald Hill aber kann das. Souverän und gelassen, spöttisch und sanft sarkastisch. Der Schrei des Eisvogels (Knaur) heisst das erzähltechnische Wunderwerk. Er führt auch schnurstracks zur Frage, wie arm jede Art von Literaturdebatte wird, wenn sie Schriftsteller vom Rang Hills nicht wahrnimmt, nur weil der Mann eine Krimi-Serie schreibt. Oder umgekehrt: Wie kompetent ist die Diskussion über »Krimis«, wenn Schriftsteller wie Hill unter nette Unterhaltung verbucht werden. Sehr arm und sehr inkompetent.

Schwarzes Ballett in Château-Rouge Eher mitleiderregend ist auch jede Art von Bauchnabelstarren in allerlei Provinzen. Denn bei sowas würde einem glatt ein hochinteressanter Autor wie Achille F. Ngoye entgehen, der seinen ersten deutschen Auftritt jetzt, wenn ich mich nicht irre, beim neuen kleinen Zebu-Verlag hat: Schwarzes Ballet in Château-Rouge erzählt von dem illegalen Privatdetektiv Kalogun, der unter seinen afrikanischen Mitmenschen in Paris ermittelt. Das Buch fängt spröde an, wird immer komplexer und intelligenter und zieht das pp. Publikum schließlich genau wegen seiner erzählerischen Komplexität und Intelligenz in seinen Bann. Und wegen seiner präzisen, scheuklappenfreien, sarkastischen Beschreibung des Immigrantenlebens. An solchen Büchern wird ganz klar, dass »Realismus« ein ästhetisches Konzept ist, dass sich immer wieder neu definiert. Auch hier wäre nette Unterhaltung das absolut falsche Schlagwort.

 Tod in Breslau Das gilt auch für einen Roman aus Polen, dessen deutsche Übersetzung allerdings schon aus dem Jahr 2002 stammt und mir -sorry!- damals durchgerutscht war. Aber wenn wir schon die EU-Erweiterung feiern, nu, jeder Anlass ist recht, um auf ein interessantes Buch hinzuweisen: Tod in Breslau (btb) heisst es und stammt von Marek Krajewski. Das Buch ist sogar extrem unnett - fast monströs. Es spielt zu weiten Teilen 1933 in Breslau, die Wurzeln seiner Handlung gehen zurück bis ins Zeitalter der Kreuzzüge. Hauptfigur ist der Kriminalrat Dr. Mock, der sich notfalls auch mit SA und SS verbündet, um seine nicht minder monströsen Ziele durchzusetzen. Krajewskis Roman siedelt stellenweise hart an der Grenze zum Devianten, es ist stellenweise unappetitlich, stellenweise schockant, ohne Zweifel provokant und dennoch unputdownable, wie das Neusprech-Wort für Bücher heisst, die man nicht unausgelesen weglegen kann. Gerade weil es möglicherweise niedere Instinkte wie Voyeurismus und Blutdurst anspricht. Und die sind uns peinlich.

Ähnlich faszinierend ist Vallat (Edition Moderne), eine sehr kunstvoll gezeichnete und geplottete graphic novel des Trios Bruno Moser (Story), Reto Gloor (Szenario) und Massimo Milano (Zeichnungen). Die drei Schweizer evozieren mit allen künstlerischen Mitteln, die die Text-und-Bild-Kombination hergibt, die Atmosphäre des Zürichs von 1916, als in der Spiegelgasse in einen Haus Lenin saß und übelnahm, dass ein paar Häuser weiter die Dadaisten im »Cabaret Voltaire« mehr Spass am Leben hatten. Und über allem wachte die Innere Sicherheit der neutralen Schweiz, die wie alle Inneren Sicherheiten ihr eigenes Süppchen kocht. Vorsicht: Auch nicht nett, aber extrem unterhaltsam.

Zuim Schluss noch der Hinweis, dass auch unser Genre eine Geschichte hat, und dass es nix schaden kann, wenn man die ein bisschen kennt, bevor man Mankell und Leon für bemerkenswert hält. Sebastian Hesse: Kamera-Auge und Spürnase. Der Detektiv im frühen deutschen Kino. (Stroemfeld/Roter Stern). Wichtig: Viele Debatten von heute gab's schon in den 1910er Jahren. Hier kann man sie -u.v.a.- nachlesen.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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