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Leichenberg 05/2007

 

Die dritte Jungfrau

In Kommissar Jean-Baptiste Adamsbergs Kopf spuken Schemen. In dem Haus, das er gerade renoviert, spukt ein Geist aus dem 18. Jahrhundert, und die Schatten aus der Vergangenheit spuken um den Kommissar herum. Mindestens einer davon tötet mit einem Skalpell Menschen. Ganz real und wenig spukhaft. Die Rede ist, wie könnte es anders sein, von Fred Vargas' Die dritte Jungfrau (Aufbau). Ihr neunter Kriminalroman ist ein weiterer Baustein ihres ganz eigenen Universums, ihrer Poesielandschaft mit Tod & Mord. Die Strukturanalogien zu den Hongkong- und Manila-Romanen des eminenten US/australischen Autors William Marshall werden immer deutlicher: Aus einer anfänglich als phantasmagorisch vorgestellten Welt schält sich im Laufe der Handlung immer klarer ein harter Kriminalfall. Vargas' eigene Handschrift wird dann in den nicht aufgelösten, poetischen Rätselhaftigkeiten, Sentenzen und bizarren Fügungen und Wendungen deutlich, die die Romane stets nehmen. So auch wieder hier, wobei ganz allmählich der Montageplan ihrer literarischen Methode durchzuschimmern beginnt.

Montagepläne waren schon immer die Spezialitäten der Bücher von Jeffery Deaver. Sein neuestes, Der gehetzte Uhrmacher (Blanvalet), ist da keine Ausnahme. Hier müssen Lincoln Rhyme und Amelia Sachs einem Serialkiller auf die Spur kommen, der mit der Präzision eines Schweizer Uhrmachers zu Werke geht. Meint man. Na gut, gehetzt wird der arme Mann eigentlich nie, soviel darf man verraten, dafür ist er aber auch nicht unbedingt ein begabter Serialkiller. Anyway, das Schöne an den Büchern von Deaver ist, dass man sich nicht unter Niveau amüsiert. Und nebenbei baut er so schön charmante Surplus-Steinchen ein wie hier eine kleine, unfunktionale Hommage an den großen Musikethnologen Alan Lomax. Sowas bringt arg erhöhte Sympathiewerte. Wie man überhaupt Jeffrey Deaver als liebenswerten Feinmechaniker des Handlungsspinnens und -drehens feiern darf und soll! Realitätsfaktor: Null. Unterhaltungswert: Hundert Prozent.

Die Stunde des Mörders

Grandios plotten kann auch der Schotte Stuart MacBride. Wie sein zweiter Roman um den Detective Sergeant Logan McRae aus Aberdeen, Die Stunde des Mörders (Goldmann) zeigt, allerdings nicht als l'art pour l'art, sondern um die pp. Leserschaft über das Lockvogelangebot »Serialkillerroman« in eine weitaus komplexere und intelligentere Handlung hineinzuziehen. Geschickt, weil mit grimmigem Witz und pointierter Sprache operierend, vermeidet MacBride dabei die Scylla des kitsch noir à la David Peace und die Charybdis allzu verlogener Polizeimärchen à la Elizabeth George. Das ist, all at all, große Klasse, was MacBride da abliefert.

Leider nicht mehr zur ganz großen Form läuft der vierte Roman der beiden als P.J. Tracy schreibenden Damen auf. Memento (Wunderlich) hat ohne Zweifel sehr schöne Momente - Leichen in Schneemännern, z.B. - und interessante Ideen - ein von Waffen strotzendes Wehrdorf für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind -, dennoch fehlt der letzte Biß, der letzte bizarre Dreh, die letzte liebevolle Nuance. Ich fürchte, die Damen sind jetzt zum Bestsellen verdammt. Und das geht als Konzept nur mit geminderter Komplexion. On verra...

Die dritte Jungfrau

Immer noch geht - verwunderlicherweise - der gute, sehr, sehr alte britische whodunnit, inclusive Countryside, verschrobenen Leutchen, Zimmer mit Geheimstübchen, obskuren Poeten und realitätsfreien Gegenden. Das ist sooo charming, dass man gerne auf dem Sofa vor dem Kaminfeuer einnickt, bis der Butler den Tee serviert. Verfügt man weder über Kamin noch Butler, tut's auch ein mild erstauntes Kopfschütteln über Simon Brett: Mord im Museum (Knaur).

Begeistert beifälliges Kopfnicken hingegen für die schön gemachte Ausgabe von Adelbert von Chamissos Die Gauner. Galerie der pfiffigsten Schliche und Kniffe berüchtigter Menschen, die der Matthes & Seitz Verlag uns zu erfreuen riskiert hat. Kluge Texte von durchaus unromantischer, vergnügter Bösartigkeit.

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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