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Leichenberg 06/2010

 

Der erste Quarry

Manchmal gibt es richtig miese, gemeine, wunderbare, clevere kleine Romane: Der erste Quarry von Max Allan Collins (Rotbuch Hard Case Crime) ist so einer. Ein elegant-ironisches Prequel zu Collins' 1976 gestarteter Saga um den Profikiller Quarry. Wie alles anfing, wie Quarry vom "Broker" angeheuert wurde und wie er - frisch vom professionellen Töten in Vietnam heimgekehrt - das privatwirtschaftliche Töten lernt und schon nach dem ersten Auftrag richtig gut ist: Sechs Typen gekillt und zwei Top-Frauen gevögelt. Der Roman stammt aus dem Jahr 2008, spielt 1970 und benutzt diese historische Deckung, von der er nur die Interieurs und die Hitparade der Zeit übernimmt, aber alle Themen von heute, zu allerlei hämischen Zwecken. Und so wird aus dem schön geschmacklosen Büchlein ein heiteres, manchmal derbes Abwatschen von "Werten" - insbesondere von family values und anderen Scheinheiligkeiten. Noch schöner: Collins inzeniert einen maliziösen Diskurs über die euphemistische Propaganda von "Kollateralschaden" bis "chirurgische Präzision beim Töten". Sehr amüsant.

Ein ausgewachsener, kapitaler Roman ist Murnaus Vermächtnis von D.B. Blettenberg (Dumont). Sein elfter Roman spielt - wie fast immer bei Blettenberg - an mehreren Orten dieser Welt - diesmal zwischen Brandenburg, Accra, der Obervolta-Region, Tunis und Polynesien, um nur die wichtigsten Schauplätze zu nennen. Es geht - so scheint es - um die "Four Devils", einen verschollenen Film des Nosferatu-Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau; ein Film, der unter Schatzjägern als eine Art Heiliger Gral gilt. Aber natürlich geht es um mehr - um mehr noch als um Okkultismus, Religion, Rituale, Tod, Verbrechen, Politik und Inzest. Es geht um einen Lebenslauf, um die Hauptfigur Victor Voss, ein Söldner, der auch Mischling ist, wie so manche von Blettenbergs Hauptfiguren. Brillant wie Blettenberg mit seinen Stoffmassen umgeht, wie er allmählich Konstellationen aus der Menge der Ereignisse herausmeißelt, die auch für ausgekochte Leser nicht so einfach voraussehbar waren. Ein großer Wurf.

Und eine Fußnote: Blettenbergs Material über Murnau würde für eine neue, aktuelle Biographie des großen Regisseurs reichen. Darin würde sicher auch Max Schreck erwähnt, der den Grafen Orlok in Nosferatu so bildmächtig gespielt hatte. Wie unromantisch dessen Schauspieler-Leben verlief, zeigt eine Biografie von Stefan Eickhoff: Max Schreck. Gespenstertheater (belleville), die dem filmischen Schein die triste Realität entgegensetzt. Lehr- und materialreich.

Escobar

Und gleich noch eine einschlägige Biographie: Escobar. Der Drogenbaron von James Mollison (Heyne). Pablo Escobar war in den 1980er Jahr fast ein Synonym für die finanzielle und politische Macht der kolumbianischen Drogenkartelle, für ausschweifenden Luxus und brutale Terrorherrschaft. Ein Mythos, der in allen populär- und hochkulturellen Formaten glitzernd und sexy präsent war und ist. Mollisons Buch ist mit vielen Fotos von Escobar, seiner Familie, seinen Gehilfen, seiner Umwelt und seiner Zeit gespickt, und diese Bilder zeigen die ganze schauderhafte Biederkeit und Schäbigkeit der realen Figuren. Wehe dem, der sich seine Weltbilder aus Film & Literatur besorgt.

Um das ganze lateinamerikanische, speziell das kolumbianischen Elend geht auch Bogotá Blues von Eva Karnofsky (edition trèves). Nach einer ganzen Reihe von hervorragenden Reportagen und Faction-Büchern hat die langjährige Lateinamerika-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung jetzt ihren ersten Kriminalroman geschrieben. Er dreht sich um den mühseligen kolumbianischen Alltag mit Entführungen, Kinderhandel, Korruption und allgegenwärtiger Gewalt. Ein spannendes Buch, das ganz fest und sicher auf dem Boden des Unromantischen und Plausibeln bleibt und sich erzählerisch eben mit diesen Gegebenheiten herumprügelt, ohne zu Überhöhung und spektakulären Thrills zu greifen.

Ein seltsames, kleines Juwel hat der Kollege Tobias Gohlis beim österreichischen Braumüller Literaturverlag gefunden und herumempfohlen. Zu recht, den Jirí Kratochvils wunderlicher Roman Das Versprechen des Architekten ist zwar nicht ganz einfach wegzuschmökern, aber belohnt durch Intelligenz und Originalität. In der stalinistischen Tschechoslowakei, in Brünn, muss ein einstiger Star-Architekt, der um Leben zu retten, in der Nazi-Zeit ein hakenkreuzförmiges Haus bauen musste und jetzt unter kommunistischem Generalverdacht steht, gegen die Mörder seiner Schwester vorgehen. In einem sehr bizarren Umfeld, im dem Privatdetektive als Fleischverkäufer arbeiten müssen. Komplex & gut.

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

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