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Leichenberg 06/2014

 

Die Kairo-Affäre

Sind wir alle hysterisch und paranoid, weil wir den Amis alles Üble zutrauen? Der NSA, der CIA? Oder werden deren Anstrengungen, alles im Griff zu haben, was auf dieser Welt läuft, immer sisyphos-artiger, immer überdrehter, immer verworrener, weil auch sie ahnen, dass die Zeiten ihrer Omnipotenz vorbei sind und dass sie sich nur noch auf Omnipotenzphantasien hingeben können? Olen Steinhauer, den man als den legitimen Erben der Graham Greene, Eric Ambler, John Le Carré, Ross Thomas und Robert Littell bezeichnen darf, ohne sich des werblichen Euphemismus schuldig zu machen, hat in seiner sog. Milo-Weaver-Trilogie die Chinesen als wichtige Akteure im großen globalen Spiel auftreten lassen. In seinem neuen Buch Die Kairo-Affäre (Blessing), das 2011 während des libyschen Bürgerkriegs spielt, denkt er die politischen Implikationen durch, die der allmählich deutlich werdende Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes für die Region haben kann. Zuvörderst für Ägypten, das 2011 längst nicht mehr stabil ist und in sehr unterschiedliche interessegeleiteten Fraktionen zerfällt. Und mittendrin ein paar Amis, CIA-Leute, Diplomaten, Söldner, die denken, das Spiel drehe sich um sie. Steinhauer ist grausam raffiniert und seziert die Auswirkungen klandestinen Lebens, der Lügen und der verschiedenen Rollenspiele, der Versionen von Wahrheit, von permanenter Täuschung und Verrat als Lebensstil auf die handelnden Personen, um deren Sympathie- und Antipathie-Werte sich Steinhauer glücklicherweise den berühmten feuchten Kehricht schert. Diabolisch zwangsläufig und romankompositorisch genial, wie er anhand einer amerikanischen Diplomaten-Gattin schon fast symbolisch die Sünden inkompetenter Politik seit dem Balkankrieg 1991 bis heute demonstriert. Auch anhand der Grenze von Luxusproblemen und sehr blutigem Ernst. Ein großartiges Stück Literatur, mit unendlichen spannenden Aspekten und Implikationen.

Allahs Narren

Dazu das "passende Sachbuch", denn mit unserer Informiertheit und unserer Kenntnis des "arabischen Frühlings", des Islam und des Islamismus ist es abseits von Schlagworten und oft fragwürdiger medialer Aufarbeitung nicht allzu weit her. Der 164 Seiten schmale Band Allahs Narren. Wie der Islamismus die Welt erobert von Friedenspreisträger Boualem Sansal (Merlin) kann zumindest ein bisschen Orientierung schaffen und begrifflich und historisch aufräumen, bevor man den Sprachhülsen interessegeleiteter Texte - schundigen Polit-Thrillern zum Beispiel - aufsitzt: "Wer die Dinge beim falschen Namen nennt, trägt zum Unglück der Welt bei", heißt das Motto des Büchleins (ein Camus-Zitat). Wer mitreden möchte, über Realitäten und Polit-Thriller, über Fakten und Fiktionen möge einen Blick riskieren.

Gnadenlose Gier

Klassiker sind auch nicht zu verachten. C. S. Forester hat mit seinen Romanen um Horatio Hornblower und dessen Abenteuer als Offizier der Royal Navy in den napoleonischen Kriegen eine der ganz großen Abenteuer-Sagas des 20. Jahrhunderts geschrieben. Ein Hohelied britischer Tugenden gegen die welsche Tyrannei - stramm nationalchauvinistisch, aber rasend spannend. Vorher, in den 1920er Jahren, schrieb er Kriminalromane, die bei dtv neu übersetzt wieder erscheinen - gerade Gnadenlose Gier von 1930. Beinahe ein Kammerspiel über die tödlichen Ränke und Intrigen in einer Werbeagentur, die durch Mord auf Expansionskurs geht. Forester beschreibt psychologisch ausgefuchst die Beziehung der Loser zu den Gewinnern, die Mechanismen von Karriere und Abstieg und den Vorteilen moralischer Indolenz. Das ist clever und sehr intensiv gemacht, gerät zum Schluss aber in die Genre-Falle der Zeit (der Schurke darf nicht obsiegen) und verwirrt mit ein paar strammen (s.o.) Ansichten zum "geborenen Verbrecher", der sozusagen keine Handlungsoptionen hat, obwohl seine Effektivität als ähnlich der von großen britischen Helden wie Francis Drake und dem Duke of Wellington bewundernd dargestellt wird.

Wenn der Mond stirbt

Klassisch kann man inzwischen angesichts von Autoren wie Nii Parkes, Vamba Sherif oder Kwei Quartey das Erzählmuster von Richard Cromptons Erstling Wenn der Mond stirbt (dtv) nennen: Ein afrikanischer Polizist "vom Lande", hier ein Massai, muss sich in der Moderne, hier in Nairobi durchsetzen und Doppelkompetenz aufbieten, um Mordfälle lösen zu können. Das ist inzwischen Standard, den Crompton routiniert beherrscht. An manchen Stellen wird der Roman sogar richtig beklemmend, dann nämlich, wenn beschrieben wird, wie in der kenianischen Hauptstadt Gewalteskalationen inszeniert werden, wie sich so etwas anfühlt, anhört, überhaupt wahrgenommen wird. Der Hauptplot allerdings ist völlig overdone, kein Mensch möchte am Ende mehr wissen, wer wem was vorgespielt, gestohlen (es geht um Kinder und Kindsmord und um Sekten) oder vertauscht hat. Rätselkrimielemente funktionieren auch nicht besser, wenn sie in "realistischen" resp. "exotischen" Environments angesiedelt sind. Ich lese gerne Romane, die in Kenia spielen, aber wenn's letztlich auf irgendwelchen Whodunnit-Fidelwipp hinausläuft, nu...

Zum Schluss noch eine frohe Nachricht für Menschen, die gerne über das Genre nachdenken: Vorwerk 8 macht endlich einen oft zitierten und oft argumentativ eingesetzten Klassiker auf Deutsch verfügbar: Robert Warshows gesammelte Texte aus den Jahren 1946 bis 1962 zu Film und anderen Populären Kulturen: Die Unmittelbare Erfahrung. Filme, Comics, Theater und andere Aspekte der Populärkultur, sehr schön übersetzt von Thekla Dannenberg. Warshow (1917 - 1955) war einer der Vordenker der Theoriebildung über Populäre Kultur, die sich an Wittgensteins Konzept der Sprachspiele anschließen lässt, wie der Sprachphilosoph Stanley Cavell für die amerikanische Ausgabe von 2001 überzeugend zeigt, aber das nur nebenbei. Für Nicht-Spezialisten ist vor allem der Aufsatz »Der Gangster als tragischer Held« heute noch sehr interessant.

 

© Thomas Wörtche, 2014

 

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