legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 07/1999

 

Nehmen wir mal spaßeshalber an, die Romane des Schweden Henning Mankell würden nicht im renommierten Zsolnay Verlag (der U-Abteilung des Hauses Hanser) erscheinen und deswegen automatisch als große Literatur gehandelt werden, dann könnten sie solide Taschenbuch-Erfolge sein (so wie bei dtv, wo seine ersten Romane herausgekommen waren). Zurecht: Auch Mankells neues Buch Die falsche Fährte (serien-chronologisch vor Die Fünfte Frau, die ihn in die Bestsellerlisten katapultiert hatte) ist ein solider und rechtschaffener Kriminalroman und unterscheidet sich darin nicht von John Harveys Resnick-Serie etwa oder von Ian Rankins Inspector-Rebus Büchern. Alle genannten Beispiele sind nicht literarisch-avantgardistsch, sondern sorgfältig gepinselte, vollständig ausgeführte "realistische" Romane im Sinn des 19. Jahrhunderts. Sie entfalten anhand von Polizeiarbeit die psychologische Entwicklung ihrer Protagonisten entfalten und untersuchen die jeweiligen Gesellschaften auf ihre Bruchstellen hin. Im direkten Vergleich zu Harvey etwa hätte Mankell allerdings zu erklären, warum er auf spektakulärstes Serial Killing setzt, das für die kriminelle Verfaßtheit einer Gesellschaft keine wirkliche Relevanz hat. So auch in Die falsche Fährte. Die liebevoll ausgemalten Details (Salzsäure in Augen geträufelt usw.) und das ganze märchenhafte Killer-Getue wirken kontraproduktiv: Das Klischee der Formel übertäubt sowohl die Figur des Melancholikers Kurt Wallander von der Kripo Ystad als auch die penible Schilderung von Polizeifrust und Ermittlungssackgassen. Für letzteres taugt der episch breite Erzählstil, zur Schilderung des Serial-Killers ist er nur fahl. Fazit: Weniger die Qualität als der Verlagsort garantieren die Prominenz von Mankell.

Ähnlich schal wirkt die Kluft zwischen Plot (steinreicher Flugzeugkonzern agiert brutal gegen Abtrünnige und profitiert dabei von Impotenz und Inkompetenz bei Legislative und Exekutive) und Inszenierung in Marcia Mullers Am Ende der Nacht (Fischer). Grauenhaft süßliche Familienidylle, American values und gnaden- sowie auch humorlose politische Korrektheit kollidieren schmerzhaft mit teilweise flamboyant vorgetragener Kritik an Strukturen, die eben jene Wertefixiertheit produziert haben. Marcia Muller, die traditionelle Linke aus San Francisco, hat die Basis ihrer Strukturkritik verschoben und folgt damit dem Weg der Demokraten vom frühen Clinton zu Al Gore heute.

Viel klüger geht da der Sizilianer Andrea Camilleri die Dialektik zwischen Gesellschaft und Verbrechen an. Ein großer Vorteil ist dabei schon mal, daß er Spott und Hohn als Darstellungsprinzipe nutzt. So dienen die mafiösen Dauermorde in und um Palermo seinem Commissario Montalbano und dessen Mitarbeitern in Die Form des Wassers (Edition Lübbe) nur noch als running gag - sie wetten, wen es wo wohl demnächst erwischt. Währenddessen kann Montalbano darüber nachdenken, wie er im Fall des toten Anwalts mit der offenen Hose am besten seine abenteuerlichen Rechtsbeugungen begeht, damit wenigstens ein bißchen Gerechtigkeit aufkommt. Daß Camilleri ein begnadeter Schriftsteller ist, der die Ökonomie des Erzählens perfekt beherrscht, macht Die Form des Wassers rundum erfreulich. Sehr erfreulich auch Patrícia Melos neues Buch Wer lügt gewinnt (Klett-Cotta). Nachdem sie in O Matador die Nützlichkeit des Mordens für den sozialen Aufstieg ventiliert hatte, geht es diesmal um ebenso nützliche Tugenden: Lügen, Betrügen und Heucheln. Morden fällt dabei kaum noch ins Gewicht.

 

© Thomas Wörtche, 1999

 

« Leichenberg 06/1999 zurück zum Index Leichenberg 08/1999 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen