Nein, nein, der großbritannische Polizeiroman (also auch der aus Irland, Schottland, Wales) kreist nicht nur um Ian Rankin. Der hat grandiose Polizeiromane geschrieben, aber grandiose Polizeiromane gab und gibt es vor ihm, gleichzeitig zu ihm und völlig unabhängig von ihm. Das mindert Rankin nicht, rückt aber ein bisschen die Dimensionen zurecht und erspart dämliche Klon-Diskussionen. John Harvey, der gerade mit seinem aktuellen Roman »Schlaf nicht zu lange« (dtv) auf dem ersten Platz der KrimiWelt-Bestenliste steht, hatte in den 1980/90ern mit seinen Resnick-Romanen Maßstäbe gesetzt, Bill James (bei uns mit zwei oder drei verstreuten Büchern vermutlich wegen durchtriebener Intelligenz der Plots nicht verkäuflich) hatte die Korruption von Polizei vorausgesetzt, Derek Raymond den Polizeiroman poetisiert, William McIlvanney ihn im guten Sinne soziologisiert - und so weiter... Also kein Grund, neue spannende Autoren wie Stuart MacBride oder Iain McDowell zu "rankinisieren", die Ableitungen funktionieren eh nicht. Mark Billingham etwa: Das Blut der Opfer (Goldmann) ist der siebte Roman um Tom Thorne, Detective Inspector in London. Wie Bill James geht Billingham davon aus, dass Polizei korrupt sein kann, aber nicht notwendigerweise sein muss. Diese Einschätzung bereitet das Spielfeld für ein wirklich toughes Buch. Nicht, weil das Blut schwappt, sondern weil die Ereignisse, so wie sie von Thorne gehandhabt werden, von erfreulich robustem Pragmatismus geprägt sind. Man könnte auch Zynismus sagen, aber zynisch ist Thorne gar nicht. Sondern nur sehr straight und humorbegabt. Klasse Buch, klasse Autor.
Das hätte ich auch gerne über Michael Robotham gesagt, dessen »Amnesie« mir in guter Erinnerung geblieben ist. Der neue Roman, Todeskampf (Goldmann) ist ein Absturz. Ja, das Schicksal von Zwangsleihmüttern in der Gewalt von Menschenhändlern ist furchtbar, das muß man nicht betonen. Schlimm sind aber mißlungene Romane "über..." - hier: Über arme ausgebeutet Flüchtlinge und Adoptionsverbrechen. Robotham konstruiert eine Paki-Polizistin, die sich pausenlos so aufführt, wie sich eine Groschenromanheldin, die eine engagierte Paki-Polizistin spielt, aufzuführen hat, according to Mr. Robotham, und das ganze wird dann noch mit klebrigem Mutterglück-Kitsch vertalmit, dass es nur so gruselt.
Eine sehr gelungene Figur pakistanischer Abstammung hingegen ist Camilla Way gelungen. Ihr Roman Schwarzer Sommer (rororo) erzählt von der 13jährigen Anita, ein häßliches Entchen aus einer britisch-pakistanischen Familie und einem schein-idyllischen und letztendlich blutigen Sommer an der Themse. Kinder sind grausam, und so ist auch dieses Buch, das ebenfalls ohne Bluteimerchen auskommt. Stünde nicht "Psychothriller" drauf, könnte man es in eine Reihe mit den großen Romane über das Erwachsenwerden stellen. Spannend, weil klug und sehr intelligent erzählt.
Klug und intelligent und ein ziemlich großes Kaliber ist Jenny Siler - meine Rede seit 2002, als das erste ihrer Bücher hier auf den Markt kam. Damals hatte sie sich auf kleine, schmutzige Thriller spezialisiert, heute schreibt sie schlanke, konzentrierte und ziemlich abgezockte Polit-Thriller - mit human factor, ohne sentimentales Gedöns. Und mit erheblichem politischen Durchblick. Portugiesische Eröffnung (Fischer) ist das beste Beispiel für alle ihren Tugenden.
Und weil wir gerade bei den erfreulichen Lakonikern sind: Mit Niederschlag hatte Garry Disher 1997 seinen Zyklus um den Gangster Wyatt beendet. Jetzt gibt es diesen Roman bei Pulp Master auf deutsch - er fängt da an, wo »Porta Vila Blues« aufgehört hatte und ist ein am Anfang leicht holpriges, dann aber wieder präzise dahinflitzendes Stück Prosa, cool, genau, knapp. Am Ende... Naja, es könnte das Ende sein für Wyatt. Muss es aber nicht.
Wenn wir bei Gangstern sind: »Criminal« heißt eine sehr vergnügliche Comic-Serie um einen Gangster ganz aus dem Geiste von Disher resp. von dessen "Urahn" Donald Westlake. Das Szenario stammt von Ed Brubaker, gezeichnet hat Sean Phillips den Strip und beide bringen es fertig, eine Geschichte (Coup geht schief, weil sich die Beteiligten gegenseitig linken) so vorzüglich zu erzählen, als sei sie nicht schon 1000mal genauso erzählt worden - in kühle Farben getaucht, cool stilisiert und ohne fatalen Willen zur Originalität: Criminal 1: Feigling (Panini Comics).
© Thomas Wörtche, 2008