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Leichenberg 10/2015

 

Ertränkt, erhängt, erschossen - Task Force Hamm

Die Hölle heißt Hamm. Zumindest für eine Gruppe Polizisten, die in der "Kreisfreien Polizeibehörde Hamm" zusammengefasst werden. Loser, Alkoholiker, Zocker, Leute mit Gewaltproblemen aus ganz Nordrhein-Westfalen werden in diese bad bank für prekäre Cops gesteckt, zur Bewährung oder einfach zur Entsorgung. Im spießig-miefigen Hamm, wo man Lasagne mit Möhren und Erbsen geliefert bekommt, wo die Architektur Depressionen auslöst und überhaupt Land und Leute einen pausenlos runterziehen, kann die Chaos-Truppe wenig Schaden anrichten, meint ein supercleverer Polit-Manager. Und wenn's hart auf hart kommt, ist das LKA aus Düsseldorf schnell hilfreich zur Stelle. Denkste. Ausgedacht hat sich dieses Wahnsinns-Szenario Dirk Schmidt für den "Radio Tatort" des WDR. Die ganze Reihe und das unglaubliche Figurenensemble sind inzwischen absolut Kult. Naheliegend also, daraus einen Roman zu machen: Ertränkt, erhängt, erschossen - Task Force Hamm (grafit) ist keineswegs das Umfüllen eines Hörspielmanuskripts in Prosa, sondern ein großartiger, kompletter, grotesker, komischer und tottrauriger Roman aus der deutschen Provinz. Schmidt begibt sich in den literarischen Nahkampf mit den unspektakulären Manifestationen des tristen Alltags, zwischen Möbelhaus, Fritten- und Daddelbuden, Ehen aus dem Thailand-Katalog, dem Gesangsverein und der Provinz-Disko. Es geht um angeknackste Existenzen, die um ihre Selbstachtung kämpfen und, natürlich, um Mord und Liebe. Schmidt denunziert seine Figuren nicht, seine bizarren Szenen sind nirgends Klamauk, sein Erzählstil ist maliziös, satirisch, komisch, dicht gewebt. Witzig, gerade in kleinen Wendungen und Ausfällen voller Esprit. Und nebenbei ist das Buch auch noch eine schöne Parodie auf die polizeifrommen Ermittlerkrimis mit ihrem drögen Personal. Das ist ziemlich grandios.

Kalter Schuss ins Herz

Ein herzzerreißend herzerwärmendes, man möchte fast sagen goldiges Buch für Nostalgiker ist Kalter Schuss ins Herz von Wallace Stroby (Pendragon). Stroby schreibt die Romane um auf's Kreuz gelegte Profi-Gangster (verstanden als Ein-Mann-Unternehmer), die Donald E. Westlake aka Richard Stark mit »The Hunter« traditionsstiftend in den 1960er definiert hatte, einfach weiter. Mit dem kleinen Unterschied, dass Strobys Hauptfigur eine Frau ist, Crissa Stone. Sie ist, wie alle Figuren dieser Schule (siehe etwa Garry Dishers Wyatt) im Grunde gut, nur halt eine Räuberin. Loyal zu "ihren" Leuten, professionell, cool, stressresistent, notfalls sehr robust. Den Ärger machen die Kollegen, undurchsichtige Mittels- und Hintermänner, gemeine Strippenzieher und ein übler Killer. Ach, man kann nicht in Ruhe rauben, wenn's dem bösen Mafios' nicht gefällt. Der Roman ist einfach, aber clever geplottet, schlicht und wie ein Strich durcherzählt, angenehm unambitiös und ohne Fidelwipp, wie ein gutes B-Movie. Der Austausch des Geschlechts der Hauptfigur hat keine weiteren Konsequenzen, weder sprachlich noch sonst wie konzeptionell. Crissa Stone ist so enigmatisch oder nicht enigmatisch wie Starks Parker. Frauen können auch Räuberinnen sein. Klar.

Der Dieb

Ein Verbrecher ist auch die Hauptfigur von Fuminori Nakamuras Der Dieb (Diogenes). Auch er freischaffend, ein Virtuose des Trick- und Taschendiebstahls, von dem wir viel Nützliches über diese Kunstformen lernen können. Allerdings schliddert auch er in ein blutiges und undurchsichtiges Manöver der Yakuza, auch für ihn stellt sich die Frage, wie und ob er aus dieser Nummer wieder herauskommt. Der Roman ist stilistisch-atmosphärisch ganz deutlich der Ästhetik Jean-Pierre Melvilles ("Le Samurai") verpflichtet - die bläuliche Kälte von Supermärkten und (U-)Bahn-Stationen, die Anonymität von Wohnschachteln, eingetaucht in alle Arten von Regen. Japanische Tristesse. Das alles funktioniert ganz wunderbar, es könnte auf einen klassischen, sehr gut gemachten Noir hinauslaufen. Dann aber taucht eine Figur namens Kizaki auf, ein megalomaner Top-Gangster und die Angelegenheit bekommt durch dessen Monologe etwas seltsam Unpassendes. Kizakis Programm der Selbstermächtigung des Bösen gegenüber allen Normen, die nur totale Hingebung und totale Unterwerfung braucht, stammt in direkter Linie vom ollen Marquis de Sade ab und befördert den Roman auf eine diskursive Ebene, die wenig einleuchtet. Das Denken des europäischen 18. Jahrhundert im heutigen Japan? Warum? Schade.

Spielarten der Rache

Ein Hammer-Buch hingegen kommt aus Irland: Spielarten der Rache von Seamus Smyth (Pulpmaster). Hintergrund und Grundlage sind die grauenhaften Zustände in irischen Waisenhäuser, in denen zigtausende von Kindern mit Wissen, Duldung, gar Unterstützung des Staates und der Polizei von Mönchen und Nonnen gequält, ausgebeutet, geschändet und zerbrochen wurden. Ein Skandal, der in den 1990er Jahren aufgeflogen war und noch längst nicht "abgearbeitet" ist. Smyths Hauptfiguren sind solche verwüsteten Seelen, die Rache an ihren Peinigern von damals nehmen. Und diese Rache ist genau abgrundtief irre, extrem grausam und wahnsinnig wie die Torturen an den Kindern. Smyth stellt sich klar auf die Seite der Opfer, aber nicht auf die der Rächer. Dazu bedient er sich des Serial-Killer-Motivs im Geiste Derek Raymonds. Der eine ist ein ansonsten empathiefreier Gangster, der Manipulator, der andere, der Manipulierte, ein bramarbasierender verhinderter Kunstmaler (ja, das ist schon so gemeint), ein Psychopath wie die Killer bei Derek Raymond, insbesondere in "I was Dora Suarez", also jemand, der auch Kleinbürger oder Machthaber sein könnte, so wie der Psychoanalytiker Arno Gruen diesen Typus in seinem Schlüsselwerk "Der Wahnsinn als Realität" beschrieben hat. Ein im besten Sinne ganz und gar furchtbares Buch.

Pistolero

Eher prekär ist Pistolero (Liebeskind), der Erstling des ansonsten sehr geschätzten James Carlos Blake. Oberflächlich ein aus Fakten und Fiktionen in fünfzig Einzelstimmen zusammengesetztes "Biopic" des berühmten Outlaws John Wesley Hardin, eine mythische Westerngestalt. Das hat viel historisches Kolorit, transponiert viel Stimmung aus den wirren Jahren der "Reconstruction", also aus der Zeit nach dem Bürgerkrieg. Das Buch trieft vor atavistischer Gewalt, was völlig okay ist. Harte Zeiten kann man nicht mit Samtpfötchen beschreiben. Das Problem liegt eher in der narrativ nicht sehr aufregenden Reihung von angeblichen und echten Zeitzeugen, die trotz einzelner "kritischer" Stimmen am Heldenbild von Hardin basteln, der nach dieser Lesart ein etwas hitzköpfiger Widerstandskämpfer des Südens gegen die Usurpatoren des Nordens war. Besonders, wenn die in Gestalt sadistischer Gesetzeshüter oder bestialischer "Nigger"-Horden (Rollenprosa, ich weiß) auftreten. So entsteht, vielleicht sogar contre cœur, ein Baustein zu Rehabilitierung des politisch fatalen Southern Pride. Der Roman stammt von 1995, die Konföderiertenflagge weht heute wieder vieler Orten. Das kann man dem Roman nicht vorwerfen, unbehaglich ist es dennoch.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

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