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Leichenberg 10/2017

 

Cambridge 5 - Zeit der Verräter

Die Cambridge Five sind immer noch ein Trauma der britischen Gesellschaft. Elitestudenten, die von der Sowjetunion in den 1930er Jahren angeworben worden waren und innerhalb des britischen Geheimdienstes steile Karriere machte. Kim Philby, Donald Maclean, Guy Burgess, Anthony Blunt und John Cairncross lieferten die Blaupause für den zentralen Plot unzähliger Spionageromane - die Suche nach dem Maulwurf, wie er sich seit John le Carrés Smiley-Romanen etabliert hat. Die originalen Cambridge Five flogen in den 1960er Jahren auf, aber das war noch lange nicht das Ende. Hannah Coler, eine unter Pseudonym schreibende deutsche Historikerin, die in Cambridge arbeitet, geht davon aus, dass die sowjetische, später russische Rekrutierungsstrategie ungestört weiter geht. In ihrem Roman Cambridge 5. Zeit der Verräter (Limes) zielen die heutigen Spione nicht mehr nur auf politischen Einfluss, sondern interessieren sich für die Ergebnisse des "neuen Silicon Valley" Cambridge, eine der wichtigsten HighTech-Forschungszentren der Welt. Coler konstruiert eine Clique von mehr oder weniger exzentrischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die allesamt irgendwie mit Geheimdiensten verbandelt sind und lässt in dieser Peer-Group einen Mord geschehen, der offensichtlich einen politischen Hintergrund hat. Gleichzeitig etabliert sie eine dritte Gruppe junger Studenten, die - vor allem eine deutsche Jungwissenschaftlerin - über die originalen Cambridge Five, insbesondere über Kim Philby forscht, wobei Quellenmaterial auftaucht, das auch den heutigen Spionen gefährlich werden kann. Die stärksten Passagen des Romans bestehen aus boshaften und maliziösen Streitgesprächen der Figuren untereinander, klassische Konversationspassagen, die auch von Somerset Maugham oder Evelyn Waugh stammen könnten. Die Rekonstruktion von Kim Philbys Biographie hingegen fügt dem Text eine semi-fiktionale Dimension hinzu, die wiederum zu dem "Mordrätsel" in Kontrast steht, das deutlich in die Tradition des klassischen britischen Universitätskrimis (à la Michael Innes oder Edmund Crispin) gehört. Eine Schichttorte also, mit noch ein paar Verzierungen drauf, die dem Roman letztendlich nicht wirklich guttun. Aber dennoch sind die Figuren der "zweiten" Wissenschaftlergeneration gut gelungene Porträts von Menschen, deren spätere Karrierewege sich zunehmend von den fortschrittlichen Idealen der 1970er Jahre entfernen, auch weil genau dieser Idealismus Tür und Tor für zynische Manipulationen öffnet. "Liebe", "Solidarität" und andere menschliche Befindlichkeiten sind in einer auf Effizienz und Zweckrationalität getrimmten Gesellschaft, wie sie uns Coler am Beispiel des Biotops Cambridge vorführt, in die Funktionale gerutscht. Der Widerspruch von Ideal und Wirklichkeit manifestiert sich, wie schon bei Philby & Co., im Verrat. Der erscheint, so gesehen und in dieser Konstellation, schon fast als plausibelste menschliche Option.

Gewaltkette

Ein seltsames Buch ist Anita Nairs Gewaltkette (Ariadne). Seine Intention ist natürlich ehrenwert, gut und wichtig: Es geht um Kinderhandel und Kinderprostitution in Indien, um eine Umbruchsgesellschaft zwischen Tradition und HighTech, in der aber die Machtverhältnisse zwischen sehr reich und sehr arm ganz massiv und brutal zu Tage treten. Nair liefert ein ungeschöntes, von jeder Art netten Exotismus' freies Bild und schaut genau in die übelsten Schmutzecken - wobei Schmutzecken das falsche Wort ist: es handelt sich eher um riesige Schmutzräume, um flächendeckendes Elend. In diesem ganzen Rott ermitteln Kommissar Gowda und seine Truppe in Bangalore. Und an dieser Stelle wird es seltsam: Gowda ist ein moderner Verwandter von Inspector Ghote - den hatte H.R.F. Keating in den 1960er Jahre erfunden und mit seiner gleichnamigen Romanserie Indien als Subkontinent des Verbrechens auf die kriminalliterarische Weltkarte geschrieben, ohne lange Zeit selbst Indien betreten zu haben. Man könnte einwenden, dass Keatings Romane bei aller Benevolenz letztendlich und unvermeidlicherweise doch den weißen, männlichen und vor allem kolonialen Blick (Keating war der Nachfolger von Graham Greene bei der "London Times") präsentierte. Deswegen ist es ja verwunderlich, dass Nair die Keating-Blaupause ziemlich deutlich verwendet, ohne sie zu beschädigen oder auch nur anzukratzen. Der sture, leicht knorzige Gowda klärt heutzutage auf wie damals der sture, leicht wunderliche Ghote. Allerdings verzichtet Nair noch auf ein paar Qualitäten, die Keatings Romane durchaus hatten: Ironie, Witz und Komik. Sie reproduziert im Grunde narrative Grundmuster der 1960s und dadurch wird &aquo;Gewaltkette« zwar zu einer sicherlich notwendigen und wichtigen Sozialreportage - aber eben eine Sozialreportage mit schlichter Spielhandlung, der Literarizität weithin abgeht. Vermutlich schielt Nair auf einen breitenkompatiblen internationalen Markt (was natürlich grunsätzlich völlig okay ist), dennoch bleibt die Verwunderung, warum eine moderne indische Frau ein altes, und nicht mehr dem state of the art entsprechendes, britisches Muster ausschreibt und keine eigene Erzählstrategie entwickelt. Seltsam.

Kaltes Land

Um bösartige kriminelle Machenschaften zu Lasten hilfloser und schutzloser Menschen geht es auch in Norbert Horsts neuem Buch Kaltes Land (Goldmann). In Dortmund stößt die Polizei auf die Spur eines geheimnisvollen Mannes, der illegal aliens als Drogenkuriere, Zwangsprostituierte und Organbanken benutzt. Eine clevere Verwertungskette, die den Tod der Opfer als "Schwund" einkalkuliert und mit den Lücken und Versäumnissen der deutschen Bürokratie virtuos spielt. Horsts Ruhrpott ist in der Tat ein kaltes Land, heruntergekommen, schmutzig, fertig, aufgegeben, nix, worin man gut und gerne lebt. Doch gegen all das stemmt sich die Polizei, zumindest die Polizei, bei der Horsts Serienheld Steiger arbeitet und die im großen Ganzen noch ordentlich funktioniert. Norbert Horst ist selbst Polizist und das tut dem Roman gut. Er hat ein feines Ohr für die verschiedenen Soziolekte, für die Absurdität von Behördensprech, er kennt die Abläufe (eine Wohltat, verglichen mit den ganzen Kommissar/Assistent-Narrativen, die mit keinen Realitäten zu tun haben) und er kennt ihre Sollbruchstellen - alles Dinge, die er dramaturgisch zu nutzen weiß. Dass aus real geschilderter Polizeiarbeit keine spannenden Romane zu machen sei (weil angeblich langweilig) - diesen Unfug widerlegt er glänzend. »Kaltes Land« ist ein extrem spannender Roman. Ob Norbert Horsts Grundvertrauen in die Ordnungsmacht, die er nun mal hat und vermutlich haben muss, einem harten Realitätscheck standhalten würde, darüber kann man diskutieren. Aber das tangiert die Integrität seines Romans nicht, der auf keinen Fall Polizei- und Ermittlerkitsch ist, sondern sich seriös mit der Brüchigkeit unsere Gesellschaft auseinandersetzt.

Love Like Blood

Ein guter Polizist ist auch Tom Thorne, der Serienheld von Mark Billingham. In Love like Blood (Atrium) hegt er den richtigen Verdacht, dass man in London und sonstwo auf der Welt, sogenannte "Ehrenmorde" professionell auslagern kann, wenn die sich in ihrer Ehre gekränkte Familie - weil ihre Tochter einen unangemessenen Lebenswandel führt oder ungünstig heiraten möchte - nicht selbst die Finger schmutzig machen will. In der richtigen Moschee können die betroffenen Familien (hier meistens aus Südostasien) die entsprechenden Dienstleister vermittelt bekommen, die sehr effektiv zu Werke gehen. »Love like Blood« ist ein grundsolider Polizeiroman, ohne Scheuklappen, mit differenziertem Blick und ohne These. Der schöne Twist am Ende bewahrt das Buch vor einer allzu einseitigen Lesart und damit vor populistischer Funktionalisierbarkeit. Feiner middle-of-the-road-Krimi.

Small Crimes

Akademisch wie alle seine Bücher ist Small Crimes von Dave Zeltserman (Pulp Master). Akademisch in dem Sinn, dass Zeltserman eine aus tausend ähnlichen Texten bekannte Standardsituation aufbaut und dann schaut, was man daraus machen kann. Das Setting ist allzu bekannt: Klein/Mittelstadt, hier in Vermont, total korrupter und verbrecherischer Sheriff, der örtliche Gangsterboss mit deviantem Sohn, Biker, Meth-Kocher, Huren mit großem Herzen, einer superscharfen Reporterbraut und so weiter, gähn. Die Hauptfigur ist ein ziemlich schlimmer Finger von Ex-Cop, der aus dem Knast kommt (weil er dem Staatsanwalt im Koksrausch das Gesicht zerschnitten hatte) und wieder schmerzhaft mit seinem Vorleben konfrontiert wird. Zug um Zug, wie bei einem Schachalgorithmus, setzt Zeltserman seinen Helden matt, verlegt jedes Schlupfloch, mauert ihn ein, begrenzt seine Optionen, lässt ihn an sich selbst und den Umständen scheitern, bis... naja, ist ja ein Noir. Plausibilität schert Zeltserman wenig, ihm geht es um existentielle Endspiele mit gewissem Ausgang. Deswegen ist auch sein Realitätskonstrukt seltsam kontextfrei, abstrakt, auch weil, siehe oben, die Grundbausteine aus dem Baukasten stammen und nicht weiter konkretisiert werden müssen. Was übrigens in dem Fall von Vorteil ist und sich der Roman auf das krude Innenleben seiner Hauptfigur konzentrieren kann, dessen wishful thinking immer grotesker wird. Dadurch wird »Small Crimes« schon fast zur Parabel. Und als solche schon völlig okay. Welt und Leben sind halt scheiße. Jo.

 

© Thomas Wörtche, 2017

 

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