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Leichenberg 11/2005

 

Russische Seelen Man muss schon höllisch aufpassen. In vielen, vielen Büchlein, auf denen »Regionalkrimi« draufsteht, sind Texte drin, die man zurecht mit der Gnade des Beschweigens bedenken soll. Hin und wieder aber ist der Bolzplatz für Unbedarfte und Anfänger gar eine kleine Talentschmiede. In der neuen Regio-Krimi-Reihe von ars vivendi ist - mit dem Aufkleber »Nürnberg Krimi« - ein ganz bemerkenswerter Roman erschienen: Russische Seelen von Veit Bronnenmeyer. Abzüglich aller üblichen Holprigkeiten und Ungeschicklichkeiten eines Erstlings erzählt der Roman eine starke Geschichte, die sogar noch mit guten Gründen in Nürnberg spielt. Der Plot reicht zurück in den Kalten Krieg und die finsteren, byzantischen Machinationen des KGB und endet im Hier und Jetzt. Bronnenmeyer kann zudem glaubwürdige, starke Figuren entwerfen; er kennt sich sogar tatsächlich in den Realitäten aus, in denen von damals und in der Polizeiarbeit von heute (allerdings, einen Riesenklops hat er produziert: Nie, nie, nie wird eine Mordkommissarin einen KGB-Agenten - oder sonstwen - im Schwimmbad mal so en passant verhaften). Er kann einen Plot auf zwei Zeitebenen handhaben, er kann vor allem Interesse an seiner Geschichte und seinen Figuren einen ganzen Roman lang mit kluger Ökonomie herstellen. Er könnte, da bin ich sicher, noch viel mehr, wenn er sich mehr trauen würde. Hoffentlich darf er das schon im nächsten Buch.

All dies kann natürlich Ian Rankin schon ziemlich lange und ziemlich perfekt. Vielleicht schon zu perfekt, so dass er in So soll er sterben (Manhattan) ein wenig der Spielmatzerei verfällt. Etwa zum Thema: Wie kriege ich am Ende zwei völlig unabhängige Handlungsstränge doch noch zusammen? Denn DI Rebus und DS Clarke bosseln an verschiedenen Fällen, die nur deshalb miteinander zu haben, weil das production design es so will. Aber das ist natürlich Nörgeln auf hohem Niveau.

Nachtschatten Nichts zum Nörgeln gibt es bei Nachtschatten von Pentti Kirstilä (Grafit). Vorausgesetzt, man mag diesen Typus von literarischer Versuchsanordnung, der auf äussere Realitäten wenig Wert legt. Ein Mann wird Augenzeuge eines Mordes. Er versucht den Mörder zu erpressen. Der antwortet mit erstaunlichen Tricks und Haken. Der Griff ins Psycho-Arsenal hält die Handlung am Ticken und nichts Menschliches ist uns mehr fremd. Ein Klassiker von 1977.

Klassisch ist auch der Mordfall Johann Georg Tinius, der im frühen 19. Jahrhundert gemordet haben soll, um seine Bibliothek zu finanzieren. Sowas finden litterati immer ganz schick, und vermutlich deswegen hat der bekennende Bibliomane Detlef Opitz aus diesem Casus einen Roman gemacht: Der Büchermörder (Eichborn Berlin). Doch ach, Opitz weiss viel und will auch, dass wir das wissen. Und schüttet uns mit seinen Zettelkästen zu bis wir nach Luft schnappen und vermauert selbst das letzte Löchlein noch mit einem manierierten, Pseudo-19.-Jahrhundert-Deutsch mit aktuellen Brüchen, dass man tränenden Auges bald nimmer will. Ooh, Prätention!

Chroniques Gegen jede Prätention bis hin zum fast prätentiös Unprätentiösen war bekanntlich das Werk von Jean-Patrick Manchette gerichtet: Kurz, klar, grausam. Welche theoretischen Positionen hinter seiner Literatur steckten, kann man jetzt geballt in den Chroniques nachlesen, seinen Essays zum Roman noir, die der Distel-Verlag verdienstvollerweise herausgebracht hat. Ein wahrer und bewundernswerter Steinbruch zu Poetik und Praxis des noir, inklusive schräger Thesen und wunderlicher Einschätzungen, aber immer von dem richtigen Grundsatz ausgehend, dass der Kriminalroman (Manchette sagt: »Polar«; er meint also an der Stelle die französische, politisierte Spielart des hardboilers, was man natürlich verlängern soll und darf) der Roman »der sehr harten gesellschaftlichen Einmischung« zu sein hat. Über den Rest kann und muß man diskutieren. Allerdings nicht, ohne Manchette zu kennen.

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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