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Leichenberg 11/1999

 

Spätherbstliche Depressionen werden nicht dadurch gelindert, daß man uninteressante Bücher hochgeschätzter Autoren vorgelegt bekommt. So geschehen bei Das Zweite Herz von Michael Connelly (Heyne HC). Seine Harry-Bosch-Romane gehören zum Feinsten, was die zeitgenössische Kriminalliteratur zu bieten hat. Sein Ausflug in Serial-Killer-Gefilde war mit Der Poet wenigstens noch intelligent, aber das Sequel jetzt ist ein krachender Absturz. Daß ausgerechnet der Serial-Killer-Jäger Terry McCaleb das Herz eines Mordopfers implantiert bekommt und daß der böse Killer diesen "Zufall" hinmanipuliert hat, das ist schon an den Haaren herbeigerissen. Ein paar wirklich gute Passagen machen noch mürrischer, angesichts der deutlichen Absicht des Buchs: Einen Vertrag zu erfüllen. "Und sonst gar nichts ..."

Ähnlich merkwürdig schlaff auch Amsterdam von Ian McEwan (Diogenes). Hier verärgert, daß das Buch nicht wirklich schlecht ist, denn wirklich schlecht kann McEwan vermutlich nicht sein. Aber wirklich gut ist die jämmerlich zahme Medien-Satire über den britischen Boulevard-Journalismus (ach Gott, ja) auch nicht. Sie ist halt, hätte Tucholsky gesagt. Und das nehmen wir nur schlechten Autoren nicht übel.

Deswegen ist auch der Asteroiden-Thriller Nemesis von Bill Napier (Wunderlich) so klasse. Weil absolut schwachsinnig - aber guuut. Die Russen, so glauben die Amerikaner, machen mal wieder Ärger. Kein Wunder, ist doch bei denen mittlerweile Schirinowski Präsident. Und der will einen Asteroiden auf die US von A schmeißen. Pfui, denken sich die Amis und beschließen entweder den Himmelskörper abzuschießen oder Russland, China und ähnliches Zeuchs präventiv ganz und gar auszurotten. Aber am Schluß heißt's dann wieder "ätsch" - und alles war ganz anders. Doch, doch, ich mag so'n kreglen Unfug, weil der die o.a. Depressionen weglachen kann.

Spätzeitlich kommt jetzt endlich auch Rotbuch mit einem neuen Isaac-Sidel-Roman von Jerome Charyn rüber. Was heißt neu? Maria (im Original Maria's Girls) ist aus dem Jahr 1992 - und Sidel ist noch comish von NYC (inzwischen wissen wir, daß er schon längst Vizepräsident der USA ist). Das Duell mit Maria Montalbán, einem sinistren Schul-Politiker, allerdings wäre beinahe final für Sidel ausgegangen - gäbe es nicht die heilende Kraft von Baseball. Hört sich abwegig an, ist abwegig und wie immer bei Charyn ein geniales Kapitelchen mehr aus seiner Privatmythologie von New York City, die inzwischen so weit von jeder Realität weg ist, daß es dieselbe genau trifft.

Von flirrender Surrealität ist auch Sándor Tars kapitales Buch Die Graue Taube. Roman über das Verbrechen. (Eichborn), das ohne das Buchmessen-Thema Ungarn vermutlich nie übersetzt worden wäre. Das Merkwürdige an diesem arg beklemmenden, sehr kafkaesken, virtuosen und gleichzeitig nagelbeisslich spannenden Roman ist, daß es formal ein lupenreiner Kriminalroman ist. Mit Verbrechen (Leute verbluten einfach, Tauben greifen an), Kommissaren (der verschiedensten moralischen Qualität), einem abgeschlossenen Schauplatz (eine Stadt, irgendwo in Ungarn) und einem showdown nebst "Auflösung". Ein "Krimi" ist das Buch deswegen noch lange nicht. Aber was dann? Viel Spaß beim heiteren Kategorien-Raten!

Zum Schluß noch ein Verbraucher-Tip, weil doch Kochen & Killen zur Zeit die Modewelle ist. Wie immer dazu einen wirklichen Klassiker, diesmal von 1939: Der rote Bulle von Rex Stout (Goldmann). Der entscheidende Roman über Beef und das daraus resultierende Steak. Garantiert BSE-frei.

 

© Thomas Wörtche, 1999

 

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