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Leichenberg 12/2009

 

Frankie Machine

Der Winter seines Mißvergnügens beginnt für Frank Machianno mit einem ganz normalen Arbeitstag. Sein Angelladen auf dem Pier von San Diego muss betreut werden, sein Wäscheservice und sein Fischhandel erfordern allerlei Aufmerksamkeit. Frank muss sich um seine Geliebte kümmern, um seine Ex-Gattin und um seine Tochter. Und um seine alten Freunde auch, selbst wenn die beim FBI arbeiten. Frank gehört zur Gegenseite. Er ist ein geschätzter, wenn auch schon länger nicht mehr aktiver Killer für die Cosa Nostra. Aus Gründen, die wir erst ganz allmählich erfahren, schlittert er wieder ins Tötungsgeschäft, das er so gut beherrscht, dass sein Arbeitsname Frankie Machine ist. So heißt auch der grandiose Roman von Don Winslow (Suhrkamp), der uns diese Geschichte erzählt. Ein klassischer Mafia-Roman. Witzig, hinterhältig, ausgekocht. Mit lakonischer Gewalt und vielen Figuren, deren Gefährlichkeit es keinen Abbruch tut, dass sie irgendwo zwischen "bizarr" und "erbärmlich" angesiedelt sind. Rundum erfreulich!

Ein Hammer-Roman auch Control Freak von Christa Faust (Rotbuch). Er spielt im ultraharten SM-Milieu von New York City, spart mit keiner Unappetitlichkeit, schwankt zwischen großartig gelungenen und sprachlich total abgestürzten Szene, hat aber einen irren Drive. Man möchte wissen, was mit der Persönlichkeit der Schriftstellerin Caitlin McCullough passiert, die eigentlich nur einen besonders ekligen Mord recherchieren wollte, und in diesem Milieu interessante Dinge über sich selbst erfährt. Kein schönes Buch, sondern ein brutaler, vermutlich pornographischer und ganz sicher riskanter Roman, der den eleganten Ausweg in postmoderne Meta-Argumentationen nicht zulässt. Extrem! Stark!

Mit Teufelsg'walt

Stark auch der neue Lisa-Nerz-Roman von Christine Lehmann: Mit Teufelsg'walt (Ariadne). Schon das Thema - vernachlässigte Kinder, durchgeknallte Ämter, irre Bürokratie, und all das ohne die übliche Pädophilen-Folklore - ist unbehaglich und beklemmend, weil bei solchen Gemengelagen erhebliche Grautonabstufungen ins Spiel kommen. Lehmann schafft es aber spielend, aus einem "Thema" einen Roman zu machen, der am Ende noch ein bisschen unbehaglicher ist.

Im Falle von Pawel Jaszczuks Roman Der Teufel von Lemberg (dtv) stellt sich heftiges Unbehagen bei der Politik des Verlages ein: "Ein Mörder geht um im Lemberg der dreißiger Jahre" lautet ein Spruch auf dem Frontcover. Nein, es geht kein Mörder um in Lwiw in der heutigen Ukraine oder im Lwow im damaligen Polen. Wenn überhaupt Morde geschehen, dann irgendwo in den Wäldern, Stunden weg von der Stadt und von einem Mörder kann man auch so nicht reden. Dieses Buch ist kein Kriminalroman. Dass es einen polnischen Preis für Kriminalliteratur bekommen hat, hat den Autor selbst am meisten verblüfft. Dtv versucht natürlich, Jaszczuk so an den Erfolg von Marek Krajewskis Breslau-Romane anzuschließen. Kein Missverständnis bitte: »Der Teufel von Lemberg« (im Original "Forest. Umbra") ist ein großartiger, wunderbarer, sperriger, seltsamer, sehr gelungener Text - allerdings ein phantastischer Roman. Wer ihn als "Krimi" liest, wird enttäuscht sein. Deswegen ist es keine gute Idee, Etikettenschwindel zu betreiben. Trotzdem - dieser Roman zwischen Traum und Realität, zwischen Stadt und Land, zwischen den Zeiten und mitten drin im alten Europa, in Galizien mit allen Implikationen, und mit etlichen erlesenen Scheußlichkeiten, darf auf gar keinen Fall untergurgeln!

Hemmungslos

Verdienstvoll eine Neuausgabe im Milena Verlag: Hugo Bettauers Roman Hemmungslos von 1920. Ein "Sittenbild" aus dem Wien der Nachkriegszeit (evidenterweise authentischer als das ganz Historientalmi à la Volker Kutscher), als die Kriegsgewinnler und die alten Eliten sich neu sortieren müssen. Bettauer, der 1925 von einem Proto-Nazi ermordet wurde, lässt seine Hauptfigur, den sozial abgestürzten Offizier Koloman Freiherr von Isbaregg schlecht Nietzeanisch und moderat Weininger'sch morden; als Figur ist Koloman irgendwo zwischen Arsène Lupin und Fantômas gezeichnet. Kolportage für den multimedialen Gebrauch (Bettauer lieferte die Vorlagen zu G.W.Pabsts "Freudloser Gasse" und Hans Karl Breslauers "Stadt ohne Juden") und eben im Dialog mit europäischen Strömungen - Isbaregg ist beinahe Gentleman-Verbrecher, beinahe ruchloser Schurke. Sein Blick gibt die Erzählperspektive vor. Für die Geschichte der deutschsprachigen Kriminalliteratur also von erheblich grösserer Relevanz als die einschlägigen, aber museal gewordenen Hervorbringungen des 19. Jahrhundert.

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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