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Quo Vadis, Krimi?

In Zeiten von Krise, Verwirrung und Verwahrlosung braucht der Mensch etwas Warmes. Wenn man der Gewalt schon nicht entfliehen kann, dann liest man lieber Krimis, die von Gewalt künden, die es so tatsächlich nicht gibt, der aber eine höherer Sinn anhaftet.

Eine Glosse von Thomas Wörtche

 

Stellen wir uns die tausende und abertausende von Krimis, Thrillern, mysteries und anderen einschlägigen Büchlein, die jahrjährlich produziert, vertrieben und verkonsumiert werden, als einen endlosen Strom von sich recht ähnlichen sehenden Viechern vor, die auch in Rudeln auftreten, also Lemmingen vielleicht, dann endet diese Glosse genau hier...

Aber wir sind ja keine Pessimisten und wenn man mich ernsthaft fragen würde, wohin es mit der Kriminalliteratur in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gehen wird, dann werde ich mich furchtbar irren. So, wie ich mich schon Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre geirrt habe, als ich kleiner Idiot meinte, die Serial Killer Welle würde allmählich brechen. Naja, wie das ist, das können wir heute auf jedem Bestseller-Tisch sehen - Serial Killer, Serial Killer, Serial Killer. Also werde ich den Teufel tun, und irgendetwas Prophetisches über Regionalkrimis, "literarische Krimis" oder andere kleinteiligere Sortierungen sagen.

Aber einen Verdacht werde ich nicht los, den ich früher nicht so sehr hatte und der sich erst mit der Massenproduktion aufdrängt und leider einen Vektor hat, der weit in die Zukunft weist. In Zeiten von Krise, Verwirrung, sozialer und ethischer Verwahrlosung, unverhohlener Gier und makrostrukturell offen verbrecherischen Strukturen und deren mikrostrukturellen Echos und Pendants, angesichts dieser neuen, diesmal existentiellen Unübersichtlicheit, angesichts der massenkompatiblen Skandale nebst medialer Aufbereitung von Amstetten bis zu irgendwelchen Amokschützen - in solchen Zeiten brauchen die Menschen etwas Warmes. Und weil sie schon auch den Verdacht haben, dass es vielleicht mit dem lieben Gott und Allah und wer auch immer fürs Transzendente zuständig sein soll, doch nicht so weit her ist, suchen sie nach Sinn, Sinnhaftigkeit oder zumindest doch nach einer präexistenten Ordnung.

Und wenn man schon die Augen vor Gewalt und Verbrechen nicht mehr zumachen kann, so möchte man doch in Romanen von solchen lesen, die erstens nie vorkommen können und denen zweitens irgendein Sinn anhaftbar ist. Und sei's, dass der Sinn im hunderttausendsten Beleg dafür liegen mag, dass die Welt, insbesondere Frauen schlecht, jedermann ohne Ausnahme gierig und grausam und das "System" böse ist. Das ist die Noir-Sinnstiftung, die sich strukturell nicht von der anderen Sinnstiftung unterscheidet, der zufolge das noch so scheußlichste Verbrechen aufgeklärt werden könne, dass - und wenn alles am Ende in Trümmern liegen mag - die poetische Gerechtigkeit doch übertragbar sei ins richtige Leben. Und dass es überhaupt eine Ordnung gibt, die im Kriminalroman gestört und dann wieder zusammengesetzt werden kann, wenn auch manchmal ein wenig graduell verschoben.

Egal wie genau das immer aussehen mag, aber wenn Kriminalliteratur eine derartige Massenattraktivität hat, wie's zur Zeit zu sein scheint, dann müssen wir die Parameter wechseln. Dann wird Kriminalliteratur theologisch, gar metaphysisch. Dann kämpft sie fundamental gegen das für homo sapiens vermutlich Unerträglichste: Dass das Universum gleichgültig, sinnfrei und durch und durch kontingent sei.

So macht sich denn auch die Kriminalliteratur auf den Weg, nicht in den Abgrund, sondern auf die Pfade, auf denen fromme Pilger schon immer gewandelt sind.

 

© Thomas Wörtche, 2009
(Buchkultur
Jubiläumsausgabe zum 20-jährigen Bestehen,
Sommer 2009
)

 

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