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Wörtches Crime Watch 02/2003

 

Bill James: Tote schreien nicht

 

Tote schreien nicht »Na schön, ich betrachte Mord unter größerem Blickwinkel nicht immer als unaussprechliches Verbrechen«, spricht Assistant Chief Constable Desmond Isles aufmunternd seinem Untergebenen Detective Chief Superintendent Colin Harpur zu. Der soll sich nämlich eine »private« Schusswaffe zulegen, um nötigenfalls den etwas bedrohlichen Emissär eines Gangster-Syndikates unbürokratisch abschießen zu können.

Iles und Harpur sind die beiden Hauptfiguren einer bis jetzt 19-teiligen Saga von Bill James (dem Pseudonym des walisischen Journalisten und Romanciers James Tucker). Die Serie startete 1985 mit »Better Believe It«, ihr 19. Band, »Naked in the Window« ist vor kurzem im United Kingdom erschienen.

Als »Konzeptkunstwerk« gehört die Serie zu den Hauptwerken der Kriminalliteratur der letzten fünfzig Jahren; in ihrer Radikalität und Originalität durchaus vergleichbar mit Chester Himes' Harlem Cycle, Jerome Charyns Isaac-Sidel-Romanen oder Derek Raymonds Factory-Serie. Bücher dieser Qualität werden grundsätzlich nie allzu große Erfolge auf dem Markt, weil sie sich dem verweigern, was das Schnuckelige und Gemütliche aller massenkompatiblen Kriminalliteratur ausmacht: Der schlabbrigen Erzählsprache des abgesunkenen Realismus', die 80 Prozent aller Krimis pflegen, und den diversen Ideologiebildungen, die ebenfalls 80 Prozent der marktgängigen Produkte betreiben.

Bill James' Grundentwurf zielt schon ins Herz aller Ideologie, die sich über Krimis herstellt: Iles & Harpur wollen ihr Städtchen, eine fiktive Hafenstadt irgendwo südlich von London, einigermaßen »sauber« halten. Weil sie beide sehr intelligente Menschen sind, wissen sie, dass sie mit »Verbrechensbekämpfung« nicht weit kommen. Verbrechen verschwindet nie, Verbrechen gehört (und nach jeder möglichen Definition) zum sozialen Bestand von größeren Menschenansammlungen. Deswegen muss man es in sozialverträglichen Dimensionen halten und managen. Lästig nur, dass die Vorgesetzen der beiden Polizisten das nicht immer kapieren. Deswegen muss der Chief Constable, der gerade der Behörde vorsteht, von niederen Details verschont und in seinem Glauben an den Kampf gegen das Verbrechen belassen werden. Weil aber unser Städtchen zur Zeit ein kriminelles Machtvakuum aufweist, drängen potente Interessenverbände aus London auf das instabile Terrain. Das mögen Harpur & Iles nicht. Aus machiavellistischen Gründen und nicht zu verachtenden materiellen Vorteilen lässt sich Harpur von einem einheimischen Drogenhändler als »Berater« einstellen. Was dazu führt, dass Harpur - als der Dealer seinerseits ein machiavellistisches Exempel statuiert und eine seiner Endverteilerinnen zur Abschreckung anderer wankelmütiger Mitarbeiter hinrichtet - statt zur Aufklärung zur Verschleierung des Mordes schreitet. Mit voller Rückendeckung seines Chefs Iles natürlich.

James' Kunst nun besteht darin, dieses moralisch auf den ersten Blick etwas arg wackelige und rechtsstaatlich zutiefst bedenkliche Manöver als völlig vernünftig und sinnvoll erscheinen zu lassen. Was es natürlich auch ist, wenn man bereit ist, ein paar kuschelige Vorstellungen darüber, was eine moderne Gesellschaft denn so sei, über Bord gehen zu lassen. Harpur & Iles sind keineswegs raubeinige Einzelkämpfer, die wie Hammetts Continental Op eine Stadt für denjenigen ausräuchern, der am meisten zahlen kann. Sie sind gute Polizisten und normale Menschen, deren private Dispositionen sich prächtig in ihr professionelles Verständnis fügen: Iles hegt lüsterne Gedanken in Richtung von Harpurs älterer, noch minderjähriger Tochter, und Harpur fehlen die Gegenargumente, weil er sich eine 18-jährige Studentin als Geliebte hält und von seinem »Undercover«-Job profitiert. Inszeniert werden diese Verhältnisse mit intelligenten, scharfzüngigen, doppelsinnigen und vor allem sehr witzigen Dialogen und einer seltsamen Mischung aus inneren Monologen und eingestreuten auktorialen Kommentaren, die Fans raffinierten Erzählens strahlen lassen.

Nicht schön allerdings ist, dass man die Serie bis jetzt auf deutsch kaum adäquat genießen kann: Ullstein hat vor Jahren Band 10 übersetzen lassen; Rotbuch die Bände 14 und jetzt 15. Der heißt: »Tote schreien nicht«. Leser, die nicht englisch können, schon.

Bill James: Tote schreien nicht. (Lovely Mover, 1998). Roman. Deutsch von Gerold Hens. Rotbuch, Hamburg 2002, 264 S., 9,90 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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