Die letzten Wochen und Monate der sogenannten "Spenden-Affäre" haben fatale Ähnlichkeit mit einem schon arg bärtigen Witz. Der geht so: Im Bergwald schleicht zufrieden der Wilderer nach Hause. Er hat einen schönen, fetten Rehbock geschossen und trägt seine Beute elegant über die Schulter geworfen. Da springt mit gezücktem Stutzen der Förster aus dem Gebüsch und schreit: "Ha! Hab ich dich, Wilddieb!" "Häh?", sagt der Wilddieb. "Ich hab doch nix gemacht, ich geh hier nur spazieren!" "Und", fragt der Forstmann, "was ist das da auf deiner Schulter?" Der Wilddieb dreht langsam den Kopf, sieht den Bock und schreit entsetzt: "Huuch!"
Nachdem nun die ganze CDU-Riege vom Unterkreisverbandskassierer bis zum brutalstmöglichen Aufklärer brav "Huuch" geschrien hat, und die Herrschaften SPD und FDP vorsichtshalber gleich mal mit, haben wir wieder das alte Spiel von Räuber und Gendarm. Hie ein paar schwarze Schafe und da die grosse, anständige Mehrheit, die nix von nix weiss und aus allen Wolken fällt. Da ist sie, die uralte Krimi-Dramaturgie: Das Verbrechen als isoliertes Skandalon, das aufgeklärt und damit entsorgt wird.
Für das Gegenbild sorgt eine bestimmte "Kritik von links". Der Steidl-Verlag hat anläßlich der "Kohl-Affäre" schnell Bernt Engelmanns "Schwarzbuch Helmut Kohl. Wie alles begann" wieder aufgelegt. Das erste "Schwarzbuch" war im Vorfeld der '94-Wahl erschienen, Bernt Engelmann ist im gleichen Jahr gestorben. Klaus Staeck hat die Neuauflage mit einem Vorwort versehen, in dem es heisst: "Aber selbst ein so scharfer Kritiker wie Bernt Engelmann wäre sicher überrascht über das Ausmass der Korruption, von der die Politik der Ära Kohl begleitet war mit mafiosen Strukturen und Schwarzgeldkonten in der Schweiz und Liechtentein." Ach? Das glaub' ich nicht. Gerade intime Kenner der DDR wie Engelmann sollten doch schließlich alles über mafiose Strukturen und Schwarzgeldkonten wissen.
Aber lassen wir diese lustigen Empörungspruster mal beiseite und kümmern uns um die Frage, warum Engelmanns Enthüllungen von 1994 so resonanzlos und merkwürdig losgelöst von den heutigen Vorgängen erscheinen. Das liegt vermutlich an der genauso schlichten Gegendramaturgie, die er gegen das Skandalon & Aufklärungs-Modell setzt. Laut Engelmann war Helmut Kohl nämlich die Marionette einer dumpfen Bande von Ex-Nazis, Grossindustriellen und anderer Ranzbacken, die ihn, schon in den 50ern, als ihren Funktionsdeppen erkoren und auf's Kanzleramt hingecoacht haben. Weil Kohl nicht der intelligenteste und ein rechter Lümmel auf dem gesellschaftlichen Parkett war, hat man ihm den cleveren Kurt Biedenkopf als "Hirn" beigegeben - Don und Consigliere, sozusagen. Für die günstige PR beim damit als blöd erklärten Volk war Norbert Blüm zuständig - so wie bei der Cosa Nostra ein wenig Kleingeld in Suppenküchen investiert wird. Der "Fall Kohl" ist also, nach Engelmann, kein vereinzeltes "Skandalon", sondern eine systematische Verschwörung dunkler Mächte mit dem Ruch der Omnipotenz.
So richtig Einzelteile und Tendenz von Engelmann sind (und auch schlichtweg evident: dass die geistisch-moralische Wende von 1982 angetreten war, Profite zu privatisieren und Kosten zu vergesellschaften, ist keine glühend originelle Tatsache) - so schief ist das Bild, das durch die Narration vom "Organisierten Verbrechen" dergestalt gezeichnet wird. Das wiederum hat mit kulturellen Mustern zu tun, die bei uns Deutschen einfach nicht eingeübt sind, weil sie u.a. auch im ästhetischen Diskurs nicht stattfinden. Dass hierzulande ein hochpolitischer Autor wie Ross Thomas beinahe unbekannt ist, hat weniger damit zu tun, dass man meint, Bücher, auf denen Thriller draufsteht, müsse man nicht ernst nehmen. Es hat damit zu tun, dass Ästhetik und Realität als kategorial verschiedene Entitäten begriffen werden. Romane über Wahlkämpfe, Rathäuser und Politik auf mittlerer Ebene (darüber hat Thomas seine brillantesten Romane geschrieben) können im deutschen Verständnis nichts taugen. Für "Kriminalität" tun's "Derrick" oder schlechte Mafia-Romane. Und das rächt sich. Nicht in aestheticis, sondern in politicis, wenn man mit tumber Krimi-Dramaturgie so oder so an die Realitäten herangeht. Das Huuch-Modell ist lächerlich, weil bis runter zum Unterkreisverband natürlich jeder vom Bimbes profitiert hat. Und das Verschwörungsmodell ist genauso komisch, weil die eine Mafia anzugreifen, immer heisst, die andere Mafia stark zu machen. Das Nützliche am "Schwarzbuch Helmut Kohl" ist, auf dieses Problem mal wieder gestossen zu werden.
© Thomas Wörtche, 2000
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