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Wörtches Crime Watch 07/2004

 

Bruno Franceschini / Carsten Würmann: Verbrechen als Passion

 

In der Wissenschaft gibt es immer noch kanonische und exzentrische Themen. Kanonisch ist Goethe, exzentrisch alles, was nach Genre riecht. Eine siebtklassige Arbeit über Goethe ist karrieretaktisch günstiger als eine erstklassige Arbeit über den Kriminalroman. Das war 1950 so, wie es 2004 ist. Deswegen sind wir auch nach 30 Jahren immer noch gerührt, wenn in jedem Vorwort zu einem neuen literaturwissenschaflichen Sammelband betont wird, dass es jetzt aber Zeit werde, sich endlich systematisch mit den populären Genres auseinanderzusetzen. Und dann folgen meist biedere, meist unerhebliche, manchmal verschrobene Texte, die noch nicht einmal im Wissenschaftsbetrieb interessieren.

Das alles gilt zunächst einmal auch für den von Bruno Franceschini und Carsten Würmann herausgegebenen Band »Verbrechen als Passion«. Da werden unerhebliche Texte von marginalen Autoren bieder ausgelegt, wie bei Ansgar Warner in seinem Aufsatz über -ky; da wird akademisch verspätet und wenig informiert über den spanischen Krimi referiert, oder der mausetote »Frauenkrimi« terminologisch zum »Frauenkriminalroman« erhoben, ohne dass dafür irgendein tieferer Grund erkennbar wäre. Da wird zum siebentausendsten Mal ohne ästhetische Differenzierungen etwa über Patricia Cornwell und Jerry Oster (Konsumdesignerware bei Cornwell, komplexe, ästhetische Texte bei Oster) gehandelt, nur weil es thematische Analogien zwischen den beiden geben mag. Und methodisch kaut man immer noch die alten, steinharten Weihnachtsplätzchen von Nusser, Suerbaum, Schulz-Buschhaus und Co., als ob inzwischen längst Fronleichnam vorbei wäre. Ach ja, die Akademe, möchte man sagen, wenn da nicht zwei wirklich bemerkenswerte Aufsätze aufhorchen liessen. Sie stammen von den beiden Herausgebern und liefern wichtige Bausteinchen zu der immer noch nicht geschriebenen Geschichte des Genres.

Würmann beschäftigt sich mit der quantitativ erstaunlich massiv vorhandenen Kriminalliteratur im Nationalsozialismus. Das widerlegt zwar keineswegs die übliche Standard-These, dass es eine erwähnenswerte deutsche Kriminalliteratur zwischen 1933 und 1945 nicht gegeben habe und insofern eine potentielle deutsche Tradition nicht stattfinden konnte. Aber Würmanns Recherchen leisten einen wichtigen Beitrag zu deutschen Kontinuitäten, deren Echos auch heute noch nicht verklungen sind. Ich verkürze hier: Der Nationalsozialismus konnte die breite Beliebtheit des Genres nicht ignorieren. Der kulturpolitische Diskurs musste also bemüht sein, den Krimi als Teil der Unterhaltungsindustrie zu behandeln und ihn deswegen als seriöse Kunstform desavouieren: Das tat er, in dem er ihn marginalisierte - als nette Unterhaltung, realitätsferne Geistesakrobatik, hübsch unterhaltsam, aber letztendlich harmlos und irrelevant.

Würmann belegt diese Position, die wir heute immer noch aus dem Hochfeuilleton kennen (was nicht heisst, dass dort Nazis zugange sind, bewahre) mit wunderbaren Beispielen. Die andere Möglichkeit, die alle totalitären Regimes bei ihrem Umgang mit diesem ihnen höchst suspekten Genre zumindest zu realisieren versuchten, war die ideologische Funktionalisierung: Krimi ist eine populäre Formenhülle, also kann man die propagandistisch wünschenswerten Inhalte einfüllen. Auch diese Option belegt Würmann mit Texten z.B. antisemitischer und strikt ordnungspolitischer Intention. Er betont dabei aber auch, dass der Erfolgsquotient bei dieser Ideologisierung nicht sehr hoch war, weil die konkrete Lebenswirklichkeit des Dritten Reiches mit Gestapo, KZs und Terror, dann doch der Priorität des Unterhaltenden unschön entgegenstand.

Das unbehagliche Echo dieser Option allerdings findet sich in den Anfängen des linken Sozio-Krimis der 70er Jahre, als man dachte, die Form Krimi sei so beliebig, da könne man dann einfach so auch emanzipatorische Inhalte einfüllen. Bruno Franceschinis Gegenstück behandelt die Entstehung des italienischen Kriminalromans im Faschismus, der auf staatliche Vorgaben anders reagierte als der gehorsame deutsche Kollege. Dort nämlich setzten die staatlichen Restriktionen bei einer ganzen Reihe von Autoren kreative Verfahren von Witz, Parodie, Verschlüsselung, Surrealem und Groteskem frei, die in der Tat zu einer ästhetisch widerständigeren Produktion und brauchbareren Grundlage für die Zeit nach 1945 führten. In beiden Aufsätzen steckt auf jeden Fall genügend Potential, das Vertiefung und Weiterdenken nötig macht. Wissenschaft ist manchmal dann doch eine sehr sinnvolle Veranstaltung.

Bruno Franceschini / Carsten Würmann: Verbrechen als Passion. Neue Untersuchungen zum Kriminalgenre. Berlin: Weidler Buchverlag, 2004, 326 S., 32.00 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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