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Wörtches Crime Watch 12/2004

 

Jens-Uwe Krause: Kriminalgeschichte der Antike

 

Kriminalgeschichte der Antike Kriminalliteratur in ihrer weitverbreiteten, zielgruppenkompatibel designten »Normalausprägung« ist eine oft recht redundante, intellektuell regressive und deswegen ästhetisch eher kreuzbiedere Veranstaltung. Je mehr sie das alles ist, desto erfolgreicher und beliebter ist sie.

Intellektuell ärgerlich dabei ist, dass diese solchermassen belletrierende Kriminalliteratur ihr Thema Gewalt und Verbrechen viel zu sehr verläppert und verdödelt, in dem sie es strikt limitiert. Das heisst, ihr namensgebendes Thema möglichst weit von allen Anschlussmöglichkeiten an Realitäten wegrückt. In Gestalt von serial killern etwa, die ungefähr 0,0002% realer Kriminalität ausmachen, aber, glaubt man den Produkten aus Schreibcomputern, Film- und Fernsehateliers, hinter jedem Busch sitzen. Oder in Gestalt kompliziert ausgeheckter Mordkomplotte, die es womöglich in der Wirklichkeit noch seltener gibt. Und die in einen literarisch hermetisch abgeschlossenen Algorithmus gepfercht werden, in dem dann alles Funktion ist und am Ende restlos aufgeräumt zu sein hat, wie ein sauber gewischter Resopaltisch. Ironischerweise gilt diese Magerkost dann auch noch als intellektuelles Vergnügen für den sich anspruchsvoll dünkenden Leser, obwohl doch die Gebrauchsanweisung nach über 100 Jahren Genre-Geschichte überdeutlich schon auf dem Umschlag leuchtet.

Dabei könnte schon eine einfache Tatsache Anlaß zum Nachdenken bieten: Dass nämlich »Verbrechen« und die gesellschaftliche Notwendigkeit ihrer Aufklärung hochgradig relative Phänomene sind. Nämlich relativ zu ihren Kontexten. Und da empfiehlt es sich, wenn man denn schon partout vor aktuellen Realitäten den Kopf in den Sand stecken möchte, sich die Anfänge unserer »Zivilisation« anzusehen: Die alten Griechen und Römer. Die blendend geschriebene, vorsichtig argumentierende und quellenkritisch sensible »Kriminalgeschichte der Antike« von Jens-Uwe Krause gibt Material in Hülle und Fülle zur Hand. Ihn interessiert vornehmlich die Frage, »wie Staaten mit einem faktisch nicht existenten Polizeiapparat« mit den Normverstössen nach ihren jeweiligen Definitionen umgegangen sind, ohne »notwendigerweise in einem Sumpf aus Kriminalität versunken« zu sein.

Natürlich gab es in der Antike Mord und Totschlag zuhauf, aber da fängt die Sache schon an, interessant zu werden. Sie galten nicht unbedingt als das große Skandalon, weil sie oft eher beiläufig als Unfall oder als Randerscheinung von Krawallen oder als Affektexzess passierten. Verblüffenderweise als »Klassenphänomen von oben«. So gehörte das Ausrasten mit Todesfolge für andere von stockbesoffenen Oberschichtlern zum akzeptierten und gesellschaftlich tolerierten Lebensstil der Eliten. Zumal die Opfer statistisch, soweit das Krause sich zu belegen traut, meistens der selben Klasse angehörten. Prompt traten juristische Regularien in Kraft, die kompensatorische Verfahren bereitsstellten, ohne den einzelnen Gewaltakt zum Offizialdelikt erklären zu müssen. Diebstahl hingegen, den man nicht als Mundraub qualifizieren konnte, war oft ein Offizialdelikt. Organisiertes Verbrechen, bzw. eine kriminelle Subkultur, schien es mit Ausnahmen von sporadisch auftauchenden Räuberbanden kaum gegeben zu haben. Die Zuordnung von Deliktgruppen zu gesellschaftlichen Gruppen, die dann etwa »Outlaws« gewesen wären, hat nicht stattgefunden. Angriffe auf die Ehre, also verbale Aggression, wurde bedeutend ernster genommen. Etwa so wie »Ehebruch«, wobei auch hier selbstregulierende Mechanismen im Vordergrund standen.

Krause kommt zu dem faszinierenden Schluss, dass die Antike deutlich ein Primat der »zivilen Wege der Konfliktregelung« hatte. Innergesellschaftlich, versteht sich. Und kein Mensch wünscht sich im Traum antike Verhältnisse heute. Aber die rundum lehrreiche Lektüre von Krauses Buch führt nicht nur eine Menge der so beliebten historischen Krimi-Schwarten ad absurdum. Sie kann, was viel wichtiger ist, ein Bewusstsein dafür wecken, dass eine Kriminalliteratur, die seit 100 Jahren die selben, öden fiktiven Standardsituationen reproduziert, möglicherweise selbst Teil eines Problems ist. Eines Problems, das dieser unserer Gesellschaft allmählich schwer zu schaffen macht: Das andauernd evasive Wegschauen, das Angstlustgruseln an den falschen Stellen und die Verwechslung der Realität mit den eigens dafür hergestellten Surrogaten.

Jens-Uwe Krause: Kriminalgeschichte der Antike. München: C.H. Beck 2004. 228 Seiten, 24,90 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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