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Böse Umstände

Andrew Brown, im bürgerlichen Leben Rechtsanwalt und Reservepolizist, gilt als die neue Stimme in der Literatur Südafrikas. Sein zweiter Roman »Würde« ist ein komplexes Werk, das Südafrika kontextualisiert und in Bezug setzt auf andere afrikanischen Staaten. Brown erzählt von nigerianischen Immigranten, die vor der brutalen Realität in ihrer Heimat fliehen und in Südafrika fast paradiesische Zustände mit relativ hohem Wohlstand und relativ geringer Gewalt vorfinden. Doch auch in Südafrika prallen Illusionen und harte Wirklichkeit aufeinander.

Von Thomas Wörtche

 

Würde

Südafrika ist eine komplexe Gesellschaft. Komplexe Gesellschaften kann man am besten in komplexen Romanen erzählen. Bestenfalls sind das dann nicht solche Romane, die nur die Schmutzecken und das Elend zum plakativen Thema machen und sich in der peniblen Schilderung von Gewaltexzessen ergehen, sondern Romane, die mit dieser Wirklichkeit derart umgehen, dass sie wirklich als Grund für menschliche Irrungen, Tragödien und Dramen sichtbar wird.

Weil er das meisterlich gut tut, gilt der 1966 geborene Andrew Brown im Moment als eine der spannendsten Autoren der südafrikanischen Literatur, abseits aller Genreschubladen. Anders als seine Kollegen Roger Smith oder Richard Kunzmann setzt Brown nicht auf plakative Action und rein thrillerhafte plots. Brown inszeniert seinen neuen, zweiten Roman »Würde« viel leiser, unspektakulärer und damit gleichzeitig viel grausamer, radikaler und verstörender.

Eine leichte Drehung der üblichen Perspektive macht schon einen riesigen Qualitätsunterschied aus. Brown erzählt die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie aus Nigeria, die dort Opfer der seit dem Biafra-Krieg (1967 - 1970) virulenten Spannungen zwischen einzelnen Volksgruppen und dem dahinter sich verbergenden Interessen der Ölmultis, Waffenhändler und anderen pressure groups wurden. Aus der Perspektive der Flüchtlinge stellt sich Südafrika als spießiges, aufgeräumtes, den eigenen Problemen lediglich hysterisch gegenüberstehendes Land dar. Rassistisch (wobei der innerafrikanische Rassismus gemeint ist, nicht so sehr der weiße Rassismus, obwohl der natürlich eine Rolle spielt) und mit den halb oder ganz illegalen Immigranten das gnadenlose Spiel von Abhängigkeit und Ausbeutung treibend, an dem sich mittlerweile auch globalisierte Gangstersyndikate beteiligen. Die wunderschöne Frau der kleinen Familie wird zur Edelprostitution gezwungen, der Gatte, ein sensibler Lehrer, gerät in eine fiese Intrige, nur weil er am falschen Moment am falschen Platz war. Der weiße und reiche, bequem sein hohles Leben der upperclass fristende Anwalt Calloway, der sich in die schöne Nigerianerin verliebt, setzt seine ganze Existenz aufs Spiel, um helfend einzugreifen und am Ende feststellen zu müssen, dass der Kampf ums nackte Überleben notwendigerweise härter ist als er es ahnen kann.

Brown kreuzt diese beiden Blickwinkel - den des satten, wenn auch benevolenten Weißen und den der mit wirklich allen Mitteln ums Überleben kämpfenden Flüchtlinge. Herausgekommen ist kein Sozialreport über die binnenafrikanische Migrationssituation, sondern ein menschliche Verhaltensweisen grandios sezierender Roman. Brown baut eine bemerkenswert bösartige, dabei hochplausible Falle um den selbstgerechten, sich überschätzenden Anwalt herum, und verzichtet am Ende darauf, die Katastrophe einerseits durch eine Gewaltexplosion etwa zu erhöhen, andererseits aber auch sie in ihrer unausweichlichen Schärfe zu mindern. Es gibt, so das bittere Fazit, aus bösen Umständen geborene Konstellationen, die nicht zu unterlaufen sind. Das ist keine schöne, aber, so wie Brown sie literarisch inszeniert, eine sehr wahre Erkenntnis.

 

Andrew Brown: Würde. (Refuge, 2009). Roman. Aus dem Englischen von Mechthild Barth. Deutsche Erstausgabe. München, btb bei Goldmann, 2010, gebunden mit Schutzumschlag, 381 S., 19.95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2010
(Deutschlandradio Kultur,
08.07.2010
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Andrew Browns Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1220119/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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