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Brutaler Gutmensch

Jack Reacher ist kein Ermittler klassischen Zuschnitts, sondern freischaffender Troubleshooter: Wo etwas faul ist, räumt Reacher auf. In Lee Childs neuem Roman »Way Out« hat er seinen zehnten Auftritt. Das klingt nach "Masche", ist jedoch prima funktionierendes Erzählprinzip. Denn Lee Childs Romane spielen an der Schnittstelle von Moral, Legalität und Legitimintät und stecken voller abgründiger Implikationen, die man begeistert zur Kenntnis nimmt.

Von Thomas Wörtche

 

Way Out

Überall ist etwas faul auf der Welt. Zumindest überall da, wo Jack Reacher zufällig vorbeikommt. Reacher ist die Hauptfigur in bisher zehn auf deutsch vorliegenden Romanen des britischen Autors Lee Child.

Reacher war früher bei der US-Militärpolizei und ist jetzt so etwas wie ein freischaffender Troubleshooter ohne Auftrag und Mandat. Er treibt sich ohne jeglichen Ballast außer seiner zusammenklappbaren Zahnbürste herum. Geld hat er noch genug auf dem Konto, Kleider kauft er immer wieder neu, Gepäck schleppt er nicht mit sich. Reacher hat kein Problem, Leute umzubringen, wenn's denn notwendig ist. Er ist hochintelligent, kompetent und gewalttätig. Eine Art nicht sehr netter Gutmensch. Reacher greift ein, wenn er auf eine Ungerechtigkeit stößt. Dann räumt er auf.

Das hört sich nach "Masche" an, ist aber ein bestens funktionierendes Erzählprinzip aller dreizehn Romane von Lee Child. So auch hier, in »Way Out«: Reacher wird Zeuge einer gescheiterten Geldübergabe bei etwas, das nach Entführung aussieht. Er will helfen, muss aber bald feststellen, dass er die Schmutzarbeit für den üblen Chef einer Söldnerfirma erledigen soll, der abscheuliche Rachepläne hegt. Was als private Tragödie angefangen hat, bekommt plötzlich aktuelle politische Dimensionen, die Lee Child präzise, knapp und lakonisch in den Text einbaut. Und zwar so, dass sie für den Roman wesentlich werden, nicht nur Beiwerk bleiben.

Private Militärfirmen führen im Namen des Pentagons die wirklich schmutzigen Aktionen aus; sie operieren in einer von der US-Regierung gewollten quasi rechtsfreien Zone - töten, plündern und morden nach Belieben. Und verdienen viel Geld damit. Wen's erwischt hat Pech gehabt, er ist ein Kollateralschaden...

Child beschreibt das Schicksal eines solchen Opfers - ein Soldat, den der Schurke in einem der vielen afrikanischen Schmutzkriege lebend zurückgelassen hat, wird bei lebendigem Leib über Jahre hinweg verstümmelt. Und angesichts dessen ist Reachers Seitenwechsel dann keine Überraschung mehr. Ein politischer Kommentar sowieso. Reachers sehr unbehagliche Reflexionen darüber, wann man wen einfach umbringen darf, testen unser Rechtsverständnis aufs Prekärste aus. Bei aller Robustheit der Handlung, bei allem suspense, der sich gerade in diesem Buch fast unerträglich behutsam aufbaut - Childs Romane stecken voller Implikationen, die man am Anfang verblüfft, dann zunehmend begeistert zur Kenntnis nimmt.

Child arbeitet anti-psychologisch. Reacher scheint eine statische, coole, unbezwingbare, sehr ironische Figur zu sein, aber er entwickelt sich, bezahlt sein Fähigkeit schnell zu denken und schnell Gewalt anzuwenden mit zunehmender Einsamkeit und schleichendem sozialen Abstieg. Wir schauen ihm nicht in den Kopf, wir sehen, wie er handelt, was er tut und manchmal, wie er kalkuliert. Zufall spielt grundsätzlich eine zentrale Rolle. Damit stellt sich natürlich immer wieder die Sinnfrage - nach Reachers Tun und Handeln, nach dem Sinn menschlichen Trachtens und Treibens sowieso. Aber selten ist diese Frage so ultracool gestellt, so klar in Action umgesetzt worden.

Am Ende des Romans ist Jack Reacher verschwunden. Er hat geholfen und gerettet, Gutes getan und die Bösen ... naja ... Aber damit ist die Welt kein bisschen besser geworden. Wir legen das Buch ungern weg und freuen uns schon auf das nächste Abenteuer.

Lee Child, geboren 1954 in Coventry, war beim britischen Granada TV u.a. für inzwischen fast mythische Serien wie "Prime Suspect" oder "Cracker" zuständig, wurde gefeuert und fing 1995 an, seine Reacher-Romane zu schreiben. Er lebt heute mit Frau und Kind in New York City und in Südfrankreich.

 

Lee Child: Way Out. (The Hard Way, 2006). Roman. Aus dem Englischen von Wulf Bergner. Deutsche Erstausgabe. München: Blanvalet, 2009, gebunden mit Schutzumschlag, 447 S., 19.95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2009
(Deutschlandradio Kultur,
06.10.2009
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Lee Childs Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/987163/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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