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Gesellschaftsroman mit Mord

860 Seiten dick und gut ein Kilogramm schwer ist der neue Roman »Das Vermächtnis« des amerikanischen Romanciers Nelson DeMille. Das fulminante Werk ist Thriller, Familienpanorama und Gesellschaftsroman über die feinen Kreise auf Long Island, wo sich alteingesessener Geldadel und neu zugezogene Familien der Cosa Nostra reiben. Die Spannung zwischen neuem und altem Geld ist über die lange Distanz des Romans allgegenwärtig, und DeMille baut gekonnt die Frage auf, ob, wann, wo und wie die Gewalt explodieren wird.

Von Thomas Wörtche

 

Das Vermächtnis

Juni 2002. John Gotti, der letzte, wirklich berühmte capo de tutti capi, der "Pate" der Cosa Nostra, stirbt im Gefängnis, die Diadochenkämpfe drohen auszubrechen.

Long Island. In diesem Juni kommt nach zehn Jahren Abwesenheit der Anwalt John Sutter zurück. Seine Ex-Gattin hatte damals einen Mafia-Granden, mit dem sie ein ehebrecherisches Verhältnis hatte, erschossen. (Das Personal kennen DeMille-Leser aus »The Gold Coast«, 1990). Sutter und seine Ex-Gattin Susan, die für diesen Mord nie verurteilte reiche Erbin einer Plutokraten-Sippe, vertragen sich wieder. Eine glückliche Wiedervereinigung und abermalige Heirat wären durchaus möglich. Wenn nicht der Sohn des damals ermordeten Mafiosos Rache an der Mörderin seines Vaters nehmen müßte, um im Machtpoker der Gotti-Nachfolge gute Karten zu haben. Und wenn nicht die reichen Eltern von Susan Stanhope einen unüberwindlichen Widerwillen gegen ihren Schwiegersohn in spe hätten.

Das ist die grob vereinfachte Grundkonstellation eines 860 Seiten dicken Epos, dessen erzählte Handlungszeit nur knapp eine Woche umfaßt: »Das Vermächtnis«. Nelson DeMille, ein bei uns sträflich unterschätzter amerikanischer Erzähler, bringt es fertig, dieses Mammut- und Breitleinwandformat elegant und extrem kurzweilig zu füllen. Natürlich läßt er sich Zeit mit seinen Figuren und seinen Familienszenen. Er beobachtet genau, wie das "Alte Geld" tickt - die Stanhopes und die Sutters (die direkt von Walt Whitman abstammen) sind die fiktiven Ausgaben der Vanderbilts, der Morgans, der Woolworth und wie sie alle heißen mögen.

Diese Familien stehen für die USA des großen Gelds, über die DeMille sagt: Alles mag sich ändern, aber diese Strukturen nicht. Sie verkehren unter Ausschluß der sozialen Realitäten in ihren Country Clubs, in denen man nicht einmal Jesus Christus zugelassen hätte, der schließlich "Halbjude" war.

Und da ist das "Neue Geld". Das Organisierte Verbrechen, das flüssig genug ist, um sich in diese exklusive Gegend für Abermillionen von Dollar einzukaufen. Und reiche Nabobs aus dem Orient, die allerdings die Sicherheitslage auf Long Island noch prekärer machen. Sie alle seziert DeMille mit den Mitteln des klassischen Gesellschaftsromans à la F. Scott Fitzgerald, dessen "Der große Gatsby" nicht zufällig auch auf Long Island spielt. DeMille jedoch baut zusätzlich zu diesem sozialen Panorama meisterlich über die lange Distanz des Romans die Frage auf: ob, wann, wo und wie die Gewalt explodieren wird, die von den ersten Seiten des Buches an über der Szenerie dräut.

Ganz besonders glücklich aber ist der Umstand, dass DeMille grandiose Dialoge schreibt. Die Wortgefechte, mit denen sich die beiden Hauptfiguren, John Sutter und Susan Sutter, geborene Stanhope, beharken, die coole Bosheit von John Sutters Mundwerk, wenn er gegen seine bösen Schwiegereltern, den Mafioso Anthony (eine Art trotteliger und brutaler Verwandter von Tony Soprano) anredet und mit er sich in der Kunst der maliziösen Beleidigung ergeht - dieser Wort- und Dialogwitz (schön übersetzt von Georg Schmidt) erinnert nicht nur an die mondäne Bosheit von Dorothy Parkers Bonmots, sondern bezieht sich direkt auf Nick & Nora Charles, das trinkfeste und eloquentes Pärchen aus Dashiell Hammetts »The Thin Man«. Denn wie bei Hammett gehen in DeMilles Roman Kriminalliteratur, Gesellschaftsroman, hochartifizielle Komödie und grimmige Ausblicke auf unschöne Realitäten prächtig zusammen.

»Das Vermächtnis« ist ein Roman, dessen analytische Schärfe, dessen Spott und satirische Kraft aus Figuren Menschen macht, deren Trachten und Treiben plausibel und nachvollziehbar sind. Ein Roman über reiche und arme reiche Leute. Und nebenbei ein sehr schöner Liebesroman mit Mord.

Nelson DeMille, geb 1943 in New York City, ist promovierter Historiker. Nach dem Militärdienst in Vietnam freier Schriftsteller und seit seinem Megaseller, "Die Wasser von Babylon" ("By the Rivers of Babylon", 1978) regelmäßig auf den internationalen Bestsellerlisten. Seine Romane sind durchweg Thriller, aber gehören keinen bestimmten Sub-Genres an. Unter dem Pseudonym Jack Cannon verfasste er sechs Trash-Perlen: Die Romane um den Brutalo-Cop Ryker. DeMille lebt auf Long Island.

 

Nelson DeMille: Das Vermächtnis. (The Gate House, 2008). Roman. Aus dem Amerikanischen von Georg Schmidt. Deutsche Erstausgabe. Hamburg: Hoffmann & Campe, 2009, gebunden mit Schutzumschlag, 860 S., 24.00 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2009
(Deutschlandradio Kultur,
18.11.2009
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Nelson DeMilles Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1071478/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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