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Der Vektor von Film zu Roman

Kriminalroman und Kriminalfilm haben sich im Laufe des letzten Jahrhunderts und am Anfang des neuen Jahrtausends eine globale multimediale Präsenz erobert wie fast keine andere Kunst-Form sonst. Dabei ist das Verhältnis von Vorlage und Verfilmung gerade im Bereich der Crime Fiction alles andere als simpel - und ist mit der Zeit eher noch komplizierter geworden.

Von Thomas Wörtche

 

Public Enemies

© Universal Studios,
2009

Michael Manns neuer Kriminalfilm, "Public Enemies" ist eine Verfilmung, sozusagen. Was Mann da in eine Art Hightech- und Highend-Comic verwandelt, basiert auf einem Buch. Allerdings nicht auf einem Roman, sondern auf einem Sachbuch (»Public Enemies: America's Greatest Crime Wave and the Birth of the FBI, 1933-1934«), verfasst von Bryan Burrough. Dieses Non-Fiction-Buch wurde für ein Film- resp. TV-Projekt geschrieben, und obwohl es als historisch akkurat gilt, ist Manns Kinofilm alles andere als das. Im Film werden die Chronologie der wirklichen Ereignisse, die Personenkonstellationen der Zeit und die Topographie der Handlung dramaturgisch so verändert, dass sie den Bedürfnissen des Mediums Films gehorchen.

Die Jagd auf den Bankräuber John Dillinger, dessen anarchisches Treiben sowohl die ordnungspolitischen Vorstellungen von J. Edgar Hoover, dem Gründer und mythischen Chef des Federal Bureau of Investigation als auch die Geschäftsinteressen von La Mafia (hier repräsentiert von Frank Nitti, dem Nachfolger von Al Capone als Geschäftsführer des Chicagoer Outfits) empfindlich konterkarierte, ist von Michael Mann wiedererkennbar nach ein paar gröbsten Fakten inszeniert. Dennoch steht diese Inszenierung - wie bei aller Kunst - auch im Dialog mit schon vorliegenden Interpretationen des Stoffes, also mit den einschlägigen Dillinger-Filmen von Max Nosseck (1945), John Milius (1973) und Rupert Wainright (1991), wenn ich keinen übersehen habe. Johnny Depps Stilisierung von Dillinger als Dandy ist Manns Ausstattungsorgie von Outfits, Interieurs und Design angepaßt. Die Verwandlung der Leinwand in lupenreine Comic-Panels (wozu etwa die comic-haften Lichteffekte der übertriebene Mündungsfeuer oder manche Gesten und Körperhaltungen zählen, die naturalistisch gesehen nur manieriert wären etc.), also die Transformation einer amerikanischen Legende vom Sozialdrama in eine eisige, stylishe, sehr artifizielle Bilderwelt, ohne dabei mit aktuellen Kommentaren zur Lage der Nation (flächendeckende Überwachung, Folter-Diskussion etc. etc.) zu sparen - all das ist recht eigentlich eine sehr literarische Angelegenheit. Man könnte fast sagen, Michael Mann filmt einen Roman, den es noch gar nicht gibt. Der Vektor von Film zu Roman würde hier sozusagen umgekehrt als üblich verlaufen...

Und führt uns zu der Frage, wie es denn um das Verhältnis von Vorlage und Verfilmungen gerade im Bereich der Crime Fiction aussieht. Denn beide haben sich im Laufe des letzten Jahrhunderts und am Anfang des neuen Jahrtausends eine globale multimediale Präsenz erobert wie fast keine andere Kunst-Form sonst. Literatur und Film sind neben dem sich neu formierenden Medium "Comic" (resp. "Graphic novel") die entscheidenden Leit-Formen. Die Geschichte des Genre-Kinos und der Genre-Literatur spätestens seit Fantômas beschreiben eine Art Parallelaktion, wobei die genaue Natur ihrer wechselseitigen Beeinflussungen und Abhängigkeiten noch der Systematisierung harren. Was wir wissen: Kriminalliteratur und Kriminalfilm hängen irgendwie zusammen.

Wenn wir uns die letzten Jahre und Jahrzehnte allerdings genauer anschauen, wird das "irgendwie" anscheinend immer komplizierter statt durchsichtiger. Vielleicht liegt es aber auch nur an der Prominenz einzelner Beispiele, dass wir das Verhältnis von Vorlage und Verfilmung (resp. die Verhältnisse von Film und "novelization") als prekär betrachten. Kein Mensch blickte bekanntlich bei "The Big Sleep" durch: der Regisseur Howard Hawks nicht, die Drehbuchautoren William Faulkner, Leigh Brackett und Jules Furth nicht und Vorlagenlieferant Raymond Chandler selbst auch nicht. Herausgekommen ist ein atmosphärisch starker, ikonographisch wirkmächtiger, aber doch eher plotschwacher Film. Ähnlich problematisch das Dreieck Highsmith, Chandler, Hitchcock bei "Strangers on a train" - ein unsicherer Romanerstling, ein Drehbuchautor (von letztlich dreien), der sich mit dem Regisseur nicht versteht und ein paar ziemlich geniale Regieeinfälle - aber wo liegt die Signifikanz der Vorlage? Nur in der Idee des Austausch-Alibis...?

Folgt man diesem Strang der Verfilmungsstrategie, also dem "Hitchcock-Modell", dann scheint die literarische Vorlage lediglich als Ideenspender von Interesse zu sein. "Das einzige, was mir gefallen hat (…), war der unerwartete Mord unter der Dusche", kommentierte Alfred Hitchcock Robert Blochs Roman "Psycho" und betont, dass er mit der spezifischen Literarizität von Romanen nichts anfangen kann: "Literatur, deren ganzer Reiz in ihrem Stil liegt, mag ich nicht. Ich habe eine rein visuelle Vorstellung...".

Hitchcock steht damit für die alte Binsenweisheit, dass Film und Literatur letztendlich doch zwei verschiedene ästhetische Organisationsformen sind, und manchmal lediglich über Story oder Plot notdürftig zusammenhängen.

Aus vielen mittelmäßigen bis uninteressanten Büchern sind gute Filme geworden, viele hervorragende Bücher sind nie verfilmt worden. Und nur Marketing-Leute und PR-Journalisten machen aus der Tatsache, ob Bücher verfilmt werden oder nicht ein Relevanzurteil über deren Autoren. Ein literarisch extrem wichtiger Autor wie Jerome Charyn (der auch viel über Film, Verfilmungen und Kriminalfilme gesagt hat in seinem wunderbaren Buch "Movieland") ist nie verfilmt worden, ein als Schriftsteller bedeutungsloser Paranoia-Lieferant wie Robert Ludlum hat es spätestens seit Sam Peckinpahs Zeiten ("Osterman Weekend", 1983) bis zu der zeitgeistigen "Bourne-Identity"-Trilogie (2002-2007) und Cronenbergs "Matarese Circle" (2009) geschafft. Weil eben Paranoia ein Zeitgeist-Thema ist, und das, wie wir alle wissen, nicht das Falscheste. Auch wenn ein kluger Kopf wie David Mamet (in dem schönen "Bambi vs. Godzilla. Über Wesen, Zweck und Praxis des Filmbusiness"-Bändchen) die "Bourne-Identity"-Filme für eine Verlängerung der Menschen-als-Automaten-Movies im Gefolge von Terminator & Co. hält...

Aber Motivketten und Kausalitäten, die man ex post sieht, müssen im Produktionsprozess keine Rolle gespielt haben. Selbst gute Bücher können nur als Ideensteinbruch geplündert werden und gute Filme ergeben, ohne deswegen je als gute Romane rüberzukommen. Das gilt für die Wolf-Haas-Verfilmungen, die ganz von dem grandiosen Kabarettisten und Schauspieler Josef Hader leben, und deren Drehbücher, an denen Haas mitgeschrieben hat, die Romane während des Filmes in Vergessenheit geraten lassen. Ganz sicher aber gilt dieses Prinzip zum Beispiel für Hitchcocks "Frenzy", ein Meisterwerk, das aber ganz anders tickt als die ebenfalls grandiose Vorlage von Arthur LaBern, "Goodbye Piccadilly, Farewell Leicester Square". Auch Martin Scorseses "Shutter Island" tickt anders als Dennis Lehanes Roman, während - um Verwirrung zu stiften- Clint Eastwood eine Menge von Lehanes "Mystic River" in den gleichnamigen Film rüberbringt.

Da schließt sich die Henne-und-Ei-Frage an: Hat Eastwood Lehanes Text deswegen als Vorlage gewählt, weil er die originären Aspekte des Romans so toll fand, oder weil der Roman sich sozusagen a priori in Eastwoods ästhetische und programmatische Denk- und Bildwelt einfügt? Oder setzt das Duo Eastwood/Helgeland ganz einfach auf die Popularität eines Autorennamens plus des kommunikativen Potentials eines Motivs?

So könnte man die Adaption von Michael Connellys Roman "Blood Work" verstehen - der Name Connelly, der für Belletristik steht, plus das never-ending-Sujet Serial Killer, zusammen synthetisiert zu der hochemotional besetzten Metapher des "Herzens" (der Cop lebt mit dem Herzen des Opfers eines Serial-Killers weiter).

Denn dass unabhängig von allen anderen Kalkülen die Kombination von anspruchsloser, aber ungemein populärer Belletristik und Film immer stattfindet, scheint evident. Dan Browns Verrätselungs-, Klerikal- und Schwurbelschmöker mussten sich natürlich in fett budgetierten Großproduktionen niederschlagen (so wie "Harry Potter" verfilmt wurde, notwendigerweise), wobei das spezifische Genre dabei keine große Rolle spielt. Wenn man Tom Hanks hilflos durch die Handlung irren und Jean Reno verständnislos dreinschauen sieht, dann weiß man, dass auch sonst nichts eine Rolle spielt, außer einer gewissen Blockbuster-Professionalität. Man würde vermutlich Dan-Brown-Verfilmungen auch nicht ernsthaft zu den wichtigen Kriminalfilmen zählen, genauso wenig wie man die damals notorisch beliebten allstar-gespickten Ausstattungsorgien nach Agatha Christie (mit dem wunderbaren Peter Ustinov als Hercule Poirot) oder Margaret Rutherfords Miss-Marple-Schrulligkeiten irgendwie in einen Zusammenhang mit Filmen von Peter Yates oder Jean-Pierre Melville bringen würde, nur weil Mord und Totschlag darin vorkommen. Nicht nur, weil sich whodunits in den seltensten Fällen fürs Kino eignen (da sind sich so unterschiedliche Geister wie Hitchcock und Charyn völlig einig) und eher in Fernsehformaten ihr unschuldiges Dasein fristen, sondern weil es eine klar spürbare, wenn auch nicht in jedem Fall distinkt zu beschreibende Trennlinie zwischen Blockbuster-Kino und seriös gemeinten Kriminalfilmen gibt.

Und wieder herrscht eine merkwürdige Dialektik zwischen Vorlage und Film: Zum Beispiel Brian Helgeland. Neben der schon erwähnten Kooperation mit Clint Eastwood ein grandioses Drehbuch und Regie zu James Ellroys "L.A.Confindential" - der seltene Fall, wo Roman und Film kein Qualitätsgefälle aufweisen (was für ein Debakel dagegen die Brian de Palma Verfilmung von Ellroys "Black Dahlia") Triumph mit John Godeys "The Taking of Pelham 123", ein paar andere qualitative Oszillationen, aber klar: Helgeland ist ein Genre-Aficionado mit erheblicher Risikofreude, der sich "seine" Vorlagen garantiert mit Gründen aussucht. Ähnlich wie die Coen-Brüder zwischen "Fargo" (keine Vorlage) und "No Country for Old Men" (da gleich Cormac McCarthy) ihrer genial, schrägen Vorstellung von "Genre" verhaftet sind - in die Cormac McCarthys Roman in diesem einen Fall hineingepasst hat. In anderen Fälle eben nicht, was aber über den systemischen Zusammenhang zwischen Verfilmung und Vorlage wenig sagt.

Ich glaube, das ganze komplizierte Panorama zwischen Film und Vorlage lässt sich an drei aktuellen Beispielen noch einmal durchexerzieren: "Der Mann, der niemals lebte" von Ridley Scott basiert auf einem sehr guten Polit-Thriller von David Ignatius ("Body of Lies"), beide - Film und Roman - haben einerseits Hitchcocks "North by Northwest" als Folie (Geheimdienste erfinden einen fiktiven Agenten), andererseits sind Film und Roman böse, wütende, satirische und komische Attacken auf die Dummheit des US-Politik im Nahen Osten, also aktuelle politische Filme. Der Roman von Ignatius steht in einer Reihe von Spionage-Romanen des Autors, in denen er dieses Thema immer wieder variiert. Der Film von Ridley Scott passt zudem zu dessen Obsession (und Genialität) für Irres irre Erzählstandpunkte zu finden - "Body of Lies" ist ein Film, dessen Erzähler eine Luftaufklärungsdrohne ist, und insofern auch ein Film über technisierte Perzeption, über das Sehen unter Hightech-Bedingungen und was immer man kultursemiotisch noch alles herausholen könnte...

"Blood Diamonds" von Edward Zwick basiert auf keinem bestimmten Buch. Es könnte aber eine Verfilmung eines Romans von Andy MacNab oder John le Carré sein, die sich beide mit den grusligen Zuständen in West- und Zentralafrika auseinandersetzen ("The Constant Gardener" von le Carré ist eher unspektakulär 2005 von Fernando Meirelles verfilmt worden), aber eine literarische Vorlage hätte Zwick vermutlich gar nicht brauchen können, weil die direkte, unmittelbare Brutalität der Handlung (die nur durch den aufgesetzten, künstlichen Schluss beschädigt wird, Produzenten-Kino, sozusagen) gar kein subtiles Vorfiltern braucht. "Der letzte König von Schottland", nach Giles Fodes' Roman "The Last of Scotland" von Kevin Macdonald verfilmt, behandelt ebenfalls ein schlimmes, afrikanisches Thema, nämlich das Regime von Idi Amin in Uganda, wählt aber vermutlich wegen der zeitlichen Distanz den Umweg über eine literarische Vorlage. Dabei unterstreicht ein solches Verfahren nur im Grunde die Zufälligkeit und Beliebigkeit der Frage, wo denn die unabdingbare, stringente Notwendigkeit von "Verfilmungen" liegen könnte.

Während wir jetzt also eher gelassen auf den nächsten Blockbuster, die schwedische Verfilmung von Stieg Larssons "Verblendung" (auch dies eine Megaseller, dessen Hauptqualitäten nicht unbedingt in seiner Literarizität zu suchen sind) warten, können wir darüber nachdenken, welchen Roman wohl Scorsese für "The Departed" im Auge gehabt haben könnte. Alle Cop & Mafia-Romane der letzten fünfzig Jahre, gar keinen oder nur die asiatische Film-Vorlage "Infernal Affairs"?

Ich vermute, dass crime fiction zu einer solch massiven globalen Verständigungsformel mit solch gewaltigem kommunikativen Potential geworden ist, dass man gar nicht mehr mittels einzelner literarischer Texte oder einzelner, trennscharf zu benennender Vorlagen (auch die grandiosen Verfilmungen von Comic-Welten wie "Sin City" oder "The Dark Knight" gehören natürlich hierher) oder einzelner Film-Klassiker argumentieren und kommunizieren muss, sondern dass es reicht, die gewaltige Summa aller Assoziations- und Synästhesie-Cluster aufzurufen, die ein Jahrhundert crime fiction als kollektives Giga-Narrativ in die Köpfe der Menschen eingebrannt haben.

© Thomas Wörtche, 2009
(epd-film,
Oktober 2009
)

 

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