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METROPOLIS - revisited...

Von Thomas Wörtche

 

Metropolis

Falls wir es alle nicht gemerkt hätten - METROPOLIS ist Hochkultur. Bei Minus-Graden bibbernde Zuschauer am Brandenburger Tor, Reden von Kulturroué Roland Koch und Kulturminister Neumann, und vor allem ein ARTE-Themenabend, moderiert von einer Lady, angesichts deren Getue man gar nicht glauben konnte, dass jemand Hochkultur so unfreiwillig komisch (re-)präsentieren kann. Und natürlich ist METROPOLIS auch ein "Memory of the World" der UNESCO.

Anlass des ganzen Brimboriums ist die Rekonstruktion von METROPOLIS anhand des in Argentinien gefunden Materials, über die schon einlässlich, kompetent und detailfreudig berichtet wurde. Ja, natürlich ist es erfreulich, dass aus einem Torso so allmählich wieder eine Gesamtstruktur sichtbar wird, die ohne allzu viel Extrapolation auskommt. Und natürlich müssen wir grundsätzlich über die kultur- und filmhistorische Relevanz von Fritz Langs Mega-Klassiker nicht debattieren. Wir wissen alle, wie "modern" der Film 1927 war, wir kennen alle seine ikonographische Wirkungsmacht, obwohl wir uns gewünscht hätten, man hätte neben den notorischen METROPOLIS-Bildweltzitaten von Ridley Scott bis Madonna auch noch ein paar andere Namen genannt, angefangen bei Schuiten & Peeters' Cités Obscures bei zu Reinhard Kleists und Tobias O. Meissners Berlinnoir oder den diversen Gotham-City-Bildwelten.

METROPOLIS also, dieser gewaltige Vorratsspeicher von Bildern und Perspektiven, die auch nach 80 Jahren immer noch abrufbar sind, ist dennoch möglicherweise nicht mehr als genau das: Ein Speicher.

Dieser Verdacht keimt auch beim Betrachten der neuen Version. Die Unterschiede zur alten sind bekannt - mehr Szenen mit dem großartigen Fritz Rasp (»Der Dünne«), die allein wegen Fritz Rasp rentieren. Szenen, die mit den Sieben Todsünden und Schnitter Tod zu der ganzen eher gotischen christlichen Bilder- und Verweiswelt noch ein zusätzlich dubioses barockes Moment (als memento mori) hinzufügen und schließlich noch der "Hel"-Komplex - also die Profilierung des Umstandes, dass es zwischen Oberkapitalist Fredersen senior und dem mad scientist Rotwang vornehmlich nicht um letzte Dinge, sondern um eine Frauengeschichte geht. Das verändert den Film allerdings nur minimal, es akzentuiert vielmehr das Alberne und Lächerliche des Drehbuchs nur noch stärker, das H.G. Wells sofort bemerkte und das Fritz Lang selbst in späteren Jahren nicht bestreiten wollte.

Neben der Kitsch-Maxime vom Herz als Vermittler zwischen Hirn und Hand (Siegfried Kracauer merkte spitz an, so etwas hätte von Lang-Fan Goebbels stammen können, der die Metapher dann später auch prompt benutzt hat, wofür Fritz Lang selbstverständlich nichts kann), ist dann also noch die ganze Katastrophe mit Sintflut, Autodafé und Moloch eine Keilerei zwischen zwei Kerlen um eine (gar schon lange tote) Frau. Nein, über die Story funktionierte der Film schon damals nicht unbedingt, und heute schon überhaupt nicht mehr. Historisch auszulegen, zu interpretieren, zu kontextualisieren und ihre Implikationen hin und her zu wenden, ist sie natürlich ohne Ende. Luis Buñuels kluge zeitgenössische Bemerkung, METROPOLIS bestünde aus zwei Filmen - einem filmischen Teil, der grandios, und einem plot-Teil, der dies nicht sei - ist absolut treffend, Neufassung hin oder her.

Schlimmer noch: Sieht man den Film heute wieder - sine ira et studio und mit gehörigem Respekt vor der kontextuell bedingten Innovation - kann nur der historische Blick bleiben. Man bewundert die visionären Bilder und bemerkt ihre technische Unzulänglichkeit. Man staunt, was die Kamera an Fahrten, Schwenks, Brennweiten und Dynamik alles zu bieten hat, aber man konstatiert den Vorläufer-Status all dieser Dinge für Steadycams und anderen Möglichkeiten heutiger Zeiten und bedauert mit einer gewissen Rührung die Unzulänglichkeiten der damaligen Mittel.

Vollends unauthentisch und nurmehr historisch kann man die Schauspieler- und Massenszenen sehen: Die Piscatorschen Aufmärsche von Marschsäulen und penetrierenden Keilen; die nur in der zeitlichen Distanz als erotisch, gar sexy zu verstehenden, eher stampfenden Tänze von Brigitte Helm; und vor allem die stocklangweiligen, oft sehr konventionell und steif inszenierten Stellen, die heutzutage Dialoge wären und die damals im expressionistischen Gestus schnelle Kommunikation umständlich und wenig elegant in überdeutliche Gestensprache übersetzen mussten.

Auch da vermag nichts den Panzer der Historie zu durchbrechen und unmittelbar zu faszinieren, was wir wiederum dem Film nicht zum Vorwurf machen können. Auch ein Barockgedicht könnte uns nur auf Grund eines sacrificium intellectus unmittelbar berühren. Selbst ein solches Opfer evoziert METROPOLIS erst gar nicht. Der Film bleibt, im Gegensatz zu Fritz Langs »M« etwa, in seiner historischen Bedeutung gefangen, so gewaltig diese auch ist. Insofern haben wir am letzten Freitag keinem Akt der lebendigen Hochkultur beigewohnt, sondern einem Repräsentationsevent für einen hochgradig musealen Anlass.

© Thomas Wörtche, 2010
(Zeitgeschichte online,
Februar 2010
)
http://www.zeitgeschichte-online.de/md=Metropolis

 

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