kaliber .38 - krimis im internet

 

 

Isy aus "Kanada", Maurice und Marie

Gerd Friedrich Marenke über Thierry Jonquet und seinen Roman »Die Goldgräber«

 

Die Goldgräber Rovène heißt der Bulle, Nadia Lintz die Ermittlungsrichterin, und Paris ist die Stadt - wie immer sterbend und an tausend Ecken neu geboren. Die beiden Ermittler haben andere, private Probleme, weiß Gott, aber die Stadt lässt sie nicht. Tote Frauen werden gefunden, erst eine, dann zwei drei, die rechte Hand fachgerecht abgetrennt, und sie sind daran verblutet. Die ersten Spuren sind verwirrend, sie führen ins polnische Paris, zu illegalem Fleischimport. Zwei der Toten waren darin verstrickt: Martha K., Malerin, Hure, Fälscherin, und Helena W. bei der polnischen Botschaft. Die Ermittler müssen erkennen, dass das alles so einfach nicht ist - billiges Fleisch als Motiv für drei Morde kann so nicht sein, denken sie, das ist mehr was Rituelles. Solche Leute amputieren keine Hände, sie hacken sie ab. Kommt hinzu, dass die erste Leiche, Aïscha, rive gauche-Hure und Bandenchefin mit Charisma auf der anderen Seite des Flusses, mit totem Fleisch nichts zu schaffen hatte.

Dann gibt es eine vierte Leiche. In Kraków, Polen, früher Krakau. Genau, Hand ab, verblutet, Jadwiga, Schwester von Helena W.

Das ist die eine Sache. Die andere ist die neue Wohnung von Madame Lintz, der Richterin. Sie ist frisch zugereist in Paris, dem Gatten samt Familie in Tours entflohen. Sie findet eine nette Bleibe, und der Vermieter, Isy S., ein älterer Herr, hilft ihr beim Einrichten. Er krempelt die Ärmel hoch und ihr entgeht nicht die tätowierte Nummer auf dem Unterarm. Sie freunden sich an, gehen essen, und er erzählt ihr Geschichten, auch sein bester Freund kommt darin vor, Maurice R., Arzt, Verschworener - und Lintz' neuer Nachbar. Ihre "Betroffenheit" an all dem ist echt, wie wir sehen werden.

Thierry Jonquet hat ein wirklich gutes Buch geschrieben. Die Verbindung von Fiktion und persönlichen Verstrickungen in historischen Tatsächlichkeiten überzeugt. Wenn die Kritik schreibt, dass sich das Buch "...darüber hinaus als gnadenlose Anklage gegen den Faschismus entpuppt" ("L'Événement"), ist das auch richtig, aber Jonquet drängt es nicht auf. Dazu sind seine Figuren zu stark.
Wir Lesenden sind immer ein Stück schlauer als die ermittelnden Schlauberger, aber nicht zu schlau. Wir können dem Mörder manchmal folgen, ihm im Nachhinein gar zusehen, aber er bleibt bis zuletzt anonym, auch in seinen Motiven und Obsessionen. Das Buch ist exzellent auf den Punkt erzählt, es langweilt nie. Die beiden Stränge, von denen wir doch wissen, dass sie schließlich zueinander finden, sind geheimnisvoll-klug nebeneinander her geführt, ohne kompliziert zu werden.

Die Ermittlungsarbeit wird glaubhaft geschildert. Zeit knapp, Personal knapp, Missverständnisse und Schlappen, große Eitelkeiten, kleine Triumphe und drei Fälle nebeneinander her.
Rovène, der Oberkommissar, scheint aus der Taschenflasche zu leben, und auch die anderen gehen kurze Wege zum nächsten Glas.
Das Buch ist natürlich auch im besten Sinn ein "Paris-Krimi", in dem die Stadt jederzeit alles ist - anders als viele dieser sog. Berlin-Krimis, in denen erstmal irgend jemand seine Revolverschnauze aufreißen muss, damit alle wissen, wo wir sind.

Warum das Buch "Die Goldgräber" heißt? Das erfahren wir erst ganz am Schluss, in einem Kaff ganz in der Nähe von Oswiecim, 60 Kilometer weg von Kraków, früher Auschwitz.

Über das Buch als solches
Die Originalausgabe erschien 1993 bei Gallimard in der Série Noire unter dem Titel "Les orpailleurs". Der Heilbronner Distel Literaturverlag hat nun einen guten Teil der Rechte an dieser Serie erworben. Die Übersetzung des Jonquet-Textes wurde durch ein Förderprogramm der Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin unterstützt, das besonders kleinen und mittleren Verlagen bei der Herausgabe französischer Autoren helfen will. Überhaupt sehr rührig, die Leute da: Das Bremer Krimi-Festival 2002 "Crime Time - Prime Time" wird einen Frankreich-Schwerpunkt haben.
Das sind gute Nachrichten aus dem Milieu der Erbauungsliteratur.

© Gerd Friedrich Marenke, 2001

Thierry Jonquet: Die Goldgräber. (Les orpailleurs). Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Bettina Runge. Deutsche Erstausgabe. Série Noire, 350 S., 24.00 DM, 12.50 Euro (D)

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen