kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-Auslese 05/2001

 

Im Sommer kam der Tod Belgien.
An einem hochsommerlichen Nachmittag in der tiefsten Provinz gerät das Leben des phlegmatischen Musiklehrers George Jacquemotte aus den Fugen: Ein Fremder in seltsam anmutender Cowboykluft nähert sich seinem Häuschen und verlangt nach einem Telefon. Kaum drinnen, zieht der Fremde eine Waffe und bemächtigt sich des Autos, des Geldes und Vivianes, der Ehefrau des Lehrers, die sich als Illustratorin von Kinderbüchern verdingt.

In der Zeitung erfährt der Musiklehrer von dem Ausbruch des zu lebenslanger Haft verurteilten Terroristen Pascal Hoffmann und kann den Mann anhand der Fotos als Entführer seiner Frau identifizieren. Doch um das Leben Vivianes nicht zu gefährden ist Jacquemotte zum Schweigen verdammt. Und zum Gehorsam. Bis die Polizei die unkenntlichen Überreste einer Frau entdeckt, die in Jacquemottes Auto von einer Bombe zerfetzt wurde, und als Viviane identifiziert.

Der Musiklehrer - vom Charakter "weder besonders unternehmungslustig, noch besonders kämpferisch" - sucht nach einer Verbindung zwischen seiner Frau und dem Terroristen. Bei seinen Nachforschungen stößt er auf turbulente Aktivitäten, in die seine Frau in ihrer Studienzeit an der Kunsthochschule verwickelt war, und auf eine radikale kunst- und gesellschaftskritische Gruppe mit dem Namen "Skarabäus".

Der Belgier Jean-Baptiste Baronian hat mehrere Dutzend Bücher verfasst, darunter Kinderbücher, Science-Fiction- und Kriminalromane. In Deutschland ist Baronian weitgehend unbekannt, und das ist schade, wie sein Roman "Im Sommer kam der Tod" belegt. Baronian schafft in seiner Geschichte eine bedrückende Atmosphäre: Alle Figuren sind undurchschaubar und werden von Baronian zu einem bedrohlichen Netz verkettet, dessen Maschen er immer enger zusammenzieht. Baronian bietet einen spannenden Blick hinter die wohlanständige Fassade in der belgischen Provinz und trägt eine gute, klare Kriminalgeschichte vor, die allerdings ein bißchen zu vorhersehbar ist.

Jean-Baptiste Baronian: Im Sommer kam der Tod. (L'été est une saison morte). Kriminalroman. Aus dem Französischen von Christel Kauder. Deutsche Erstausgabe. Dortmund: Grafit Verlag, 2001, 159 S., 14.80 DM, 7.90 Euro (D).

 

Das zweite Zeichen Ian Rankin zählt zweifelsohne zu den ganz großen und schweren Kalibern der Kriminalliteratur. Rankin ist nicht nur auf den britischen Inseln, sondern auch in den USA fester Bestandteil der Bestsellerlisten und wurde mit diversen Preisen überschüttet. Erstaunlich, dass er erst im letzten Jahr - gut dreizehn Jahre nach seinem Debüt - zum ersten Mal in Deutschland verlegt wurde.

Rankins Karriere als Kriminalschriftsteller begann mit eine studentischen Koketterie: Der Mann befasste sich viel mit Literaturtheorie - Semiotik und Dekonstruktion - und entwarf einen Roman um den Polizisten John Rebus, der als intellektuelles Spielchen zwischen Leser und Buch angelegt war. Rankin staunte nicht schlecht, als sein Rebus-Roman in den Buchhandlungen zwischen P.D. James und Colin Dexter, nicht aber in den Fächern mit der Schottischen Literatur einsortiert wurde, und hielt alles für ein Missverständnis.

Rebus heißt auf Deutsch Bilderrätsel - und genau da macht Ian Rankin in seinem zweiten Roman um den zynischen Polizisten aus Edinburgh weiter. Das Buch hat auf Deutsch den brillanten, weil beziehungsreichen Titel "Das zweite Zeichen": In Edingburghs heruntergekommenem Stadtteil Pilmuir - "das Horishima der Seele" - wird die Leiche des jungen Drogenabhängigen Ronnie McGrath gefunden. Seine Leiche liegt am Boden in einer Haltung, die an Jesus am Kreuz erinnert. In den Händen hält der Tote zwei abgebrannte Kerzen, die Wand vor seinem Kopf ziert ein Pentagramm - das Zeichen eines Hexenkreises.

Ronnies Körper ist mit blauen Flecken übersäht - verdingte sich der Junge als männliche Prostituierte in Sado-Maso-Kreisen oder sind es die Spuren eines aus dem Ufer gelaufenen Rituals? John Rebus liest die Zeichen und versucht sie zu interpretieren, doch ein Gesamtbild will sich aus den Puzzlestücken nicht ergeben. Noch nicht...

Ian Rankin führt seine Leser zu den dunklen Seiten Edinburghs - zu den Seiten, die die Touristen nicht zu sehen bekommen. Seine Romane um den Antihelden John Rebus sind auf der Oberfläche leicht zu konsumieren und haben dennoch eine hochkomplexe Substruktur. Hochintelligentes Lesevergnügen!

Ärgerlich sind die vielen kleinen Druckfehler - aus der Bibliothekarin Nell wird Neil, der Bruder des Toten; Pilmuir heißt auch mal Pulmour und einem Detective wird "ein gute Polizistennase" attestiert.

Ian Rankin: Das zweite Zeichen. (Hide & Seek, 1991). Roman. Aus dem Englischen von Ellen Schlootz. Deutsche Erstausgabe. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2001, 318 S., 14.90 DM, 7.45 Euro (D).

 

Montezumas Mann Einem Mann wie Jerome Charyn rückt man am besten mit der Chaostheorie zu Leibe - anders sind seine wundersamen, magischen Romane um den New Yorker Cop Isaac Sidel kaum zu bändigen.

Der indianischstämmige Joe Barbarossa hat den Vietnamkrieg in Saigon mit Tischtennisspielen und Drogendealen verbracht. Mittlerweile ist er der höchstdekorierteste Cop von New York City. Seine suizidgefährdete, altjungferliche Schwester lebt in einem vornehmen Sanatorium, dessen horrende Rechnungen Barbarossa nur mit dem Verkauf von Drogen begleichen kann. "'Ich bin nicht Coen'", mag er beteuern so oft er will - Joe Barbarossa ist der fleischgewordene Geist von "Blue Eyes" Manfred Coen, Isaac Sidels ehemaligem Partner und Liebhaber seiner Tochter "Marilyn the Wild". Coen wurde an seiner geliebten Ping Pong-Platte in Schillers Tischtennis-Club erschossen, die Barbarossa nun als Schreibtisch belegt.

Sidels Privatfehde mit dem Mafia-Mann Jerry Di Angelis droht aus dem Ruder zu laufen. Auf Druck des FBI-Greifers Frederic LeComte wird Joe Barbarossa zu Sidels Chauffeur gemacht. Barbarossa soll den Police Commissioner beschützen, aber Sidel spielt mit dem Superbullen sein eigenes Spiel: Als "Schwarzstrumpfzwillinge" verkleidetet rauben Sidel und Barbarossa Jerry Di Angelis' Clubs aus. Die beiden Räuberbullen sorgen für Turbulenzen, destabilisieren das Kartell und entfachen "'einen gottverdammt beschissenen Sturm von Singularitäten'", in dessen Zentrum sich fünfzig sizilianischer Holzpuppen befinden.

"Montezumas Mann" ist der siebte Teil von Jerome Charyns New Yorker Saga. Der Roman ist "eine Lektion in Zauberei", eine mythische Reise von New York nach Palermo, eine literarische Tour zu den Traditionen des sizilianischen Puppenspiels, garniert mit Elementen der Graphic Novel: Isaac Sidel, der "schwarze Ritter", und sein "edler Wilder" Joe Barbarossa. Während sich die New Yorker Bürgermeisterin Rebecca Karp in ihrem Lehnstuhl wiegt, steigt Sidel - als Police Commissioner neben der Bürgermeisterin höchster Angestellter der Stadt - zum heißen Kandidaten für die kommenden Wahlen auf. Doch dass es ruhiger um Isaac Sidel wird, wenn er erst mal den Posten inne hat, steht nicht zu befürchten:

"Der schwarze Ritter musste unterwegs sein, um nach den heiligen Geistern von Manhattan und der Bronx zu suchen, nach den Hexen von Queens, Brooklyn und Staten Island. Er durchforstete die Abwasserkanäle und die U-Bahnschächte nach irgendeinem sonderbaren Gral."

Ein Märchen überwältigt den Verstand des Lesers - und hinterher sieht er klarer denn je zuvor. Das ist so gut, dass es weh tut.

Jerome Charyn: Montezumas Mann. (Montezmas Man, 1993). Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger. Deutsche Erstausgabe. Hamburg: Rotbuch, 2001, 294 S., 22.90 DM.

 

Nana Plaza Schillernde Romane schreibt auch der Kanadier Christopher G. Moore, der seit mehr als einem Dutzend Jahren in Bangkok lebt. Schillernd sind seine Bücher nicht nur wegen ihres exotischen Schauplatzes: Moore verfügt über eine opulente Sprache und erzählt seine Geschichten um Vincent Calvino, den amerikanischen Privatdetektiven in Bangkok, mehrdimensional.

Der "Causeway" ist der Highway für Sextouristen, saftlose Knacker der ersten Welt, die "mit Vollgas durchs Rotlichviertel" brausen - sei es in Havanna, in Recife oder eben in Bangkok. Über das Internet tauschen die Männer auf der Suche nach dem ultimativen "Monster-Fick" oder auch "großer Tsunami-Fick" ihre Erfahrungen aus und berichten über das Angebot der einschlägigen Lokale und die Leistungsfähigkeit meist recht junger Yings.

Organisator des "Causeway" ist der Anwalt Wes Naylor aus Los Angeles. Naylor will in Bangkok ein Hotel kaufen und für den "Causeway" umbauen, doch der Geschäftsabschluss wird torpediert: Schon vor seiner Abreise hatte der Anwalt ernstzunehmende Drohungen erhalten. Kaum in Thailand angekommen, trachtet man ihm nach dem Leben.

Vincent "Vinee" Calvino füllt die Kasse seiner Privatdetektei, indem er persönlich Geburtstagskarten austrägt und für einen Barbesitzer aus Hollywood eine thailändische Sängerin sucht, die sich aus dem Land der gebrochenen Versprechungen wieder in die Heimat abgesetzt hat. Da kommen die viertausend Dollar gerade recht, die ihm auf Vermittlung von Colonel Pratt von der Königlich-Thailändischen Polizei für einen Job angeboten werden: Gemeinsam mit Jessada Santisak, einem thailändisch stämmigen Cop aus L.A., soll Vinee den schmierigen Anwalt Wes Naylor bei seinem Bangkok-Besuch beschützen.

"In Bangkok ist nichts so einfach, wie es aussieht.": Und so stolpern der "amerikanisierte Thai" Santisak und der "thaiifizierte Farang" Calvino in ein Szenario, das nicht stimmig ist und für ein amerikanisches Publikum zurechtgelegt zu sein scheint:

"'Jess, nichts passt hier zusammen, das ist wie in einem amerikanischen Roman oder Hollywoodfilm, wo es offensichtlich niemanden kümmert, dass die Story hinten und vorn nicht stimmt. Wo das Publikum einfach die Action verfolgt und das Hirn abschaltet.'"

"Nana Plaza", Moores fünfter Roman um den Privatdetektiv Vincent Calvino, ist ein farbenfrohes und actionreiches Stück Kriminalliteratur. Moore zieht uns auf die dunkle Seite Thailands, in die Rotlichtviertel und in die Slums, und gönnt uns einen unvoreingenommenen Blick hinter die Kulissen der Stadt. Die Story - eben nicht auf die Erwartungen eines amerikanischen Publikum zugeschnitten - ist rund, und Moore gelingt es, seine Fäden am Ende zusammen zu bringen.

Christopher G. Moore: Nana Plaza. (Cold Hit). Aus dem Englischen von Peter Friedrich. Deutsche Erstausgabe. Zürich: Unionsverlag, 2001 (ut metro 204), 316 S., 19.90 DM, 9.90 Euro..

 

Virgin Heat Die meisten Autoren, die über die Mafia schreiben, ergehen sich in hysterischem Gekreische über die Organisierte Kriminalität oder stricken finstere Verschwörungstheorien. Einen ganz anderen Weg beschreitet Laurence Shames: Der Mann schreibt, wenn Sie so wollen, charmante Geschichten über charmante Mafiosi. Und das Ganze garantiert gewaltfrei. Jüngst als Taschenbuch erschienen ist der Roman "Virgin Heat", ein geist- und humorvoller Roman um eine Jungfrau mit einem brennenden Geheimnis.

Ziggy Maxx hieß mal Sal Martucci, galt als vielversprechender junger Mann im Fabretti-Clan und genoß die Protektion des Capos Paulie Amaro. Eine Unachtsamkeit bringt den Mafia-Prinzen in Schwierigkeiten - und in die Hände des FBI. Ziggy alias Sal tritt als Kronzeuge gegen Amaro auf, der daraufhin für neun Jahre in einem Bundesgefängnis verschwindet. Ziggy selbst kommt ins Zeugenschutzprogramm und - nach einem kurzem Zwischenstopp in einer stinkigen Reifenfabrik in Ohio - landet als Barmixer in Key West, Florida. "Vom Zeugenschutzprogramm hatte er die Schnauze voll, und wie es den Anschein hatte, wollte auch der Zeugenschutz nichts mehr von ihm wissen."

Ziggys Gesicht ist durch einen plastisch-chirurgischen Eingriff bis zur Unwiedererkennbarkeit verändert. Dass ausgerechnet sein verkrüppelter Zeigefinger, der sich nicht so recht den anderen Fingern anpassen will, auf das Video eines Touristen gebannt wird, nun - damit kann keiner rechnen. Dass der Tourist ausgerechnet der Bruder des Paten Paulie Amaro ist, schon mal gar nicht.

Angelina ist 27, Jungfrau und Tochter von Paulie Amaro. Als Ziggy noch Sal hieß, war sie bis über beide Ohren in den Mafia-Prinzen verliebt, aber der Lauf der Geschichte gewährte den beiden nicht mehr als eine flüchtige Affäre. Als Angelina auf Onkel Louies Urlaubsvideo die verkrüppelte Hand entdeckt, will sie unbedingt zu Ende bringen, was Sie mit Sal/Ziggy vor langer Zeit begonnen hatte. Des Paten Töchterchen packt eilig die Koffer und begibt sich nach Key West. À la recherche de la main perdue, möcht' man sagen.

Nach vielen witzigen und überraschenden Wendungen, in deren Verlauf dem alten Paten Paul Amaro nicht nur seine Tochter abhanden kommt, sondern auch sein jüngster Bruder, der Florida-Tourist Onkel Louie, Angelina in einem schwulen Reisebegleiter einen guten Freund findet, dessen Liebhaber wiederum als Undercover-Agent des FBI auffliegt, Paul Amaro selbst in eine Waffenschieberei gedrängt wird - nach diesen und ungezählten weiteren Twists kulminiert die Story in einem Familientreffen der besonderen Art in Key West. Und, das dürfen wir vorwegnehmen, alles wird gut - nur ganz anders, als erwartet.

Gewohnt souverän erzählt Laurence Shame auch in "Virgin Heat" seine Geschichte. Der Roman erfreut sich eines hochprofessionellen Aufbaus und einer blühenden Sprache (Das Bundeskriminalamt sitzt in Wiesbaden und hat wahrscheinlich keine Zweigstelle in North Florida, ansonsten eine feine Übersetzung von Veronika Cordes). Und wenn Sie sich im letzten Sommer auf Mallorca wohlgefühlt haben, dann sollten Sie in diesem Jahr Key West ernsthaft in Erwägung ziehen:

"Monat für Monat dieser Massenansturm von verkaterten, aggressiven Touristen, die ein Benehmen an den Tag legten, das sie sich zu Hause, wo die Nachbarn das mitbekommen konnten, nie und nimmer herausnehmen würden. Busen quollen aus den Ausschnitten; man grölte über die eigenen und dazu noch schlecht erzählten dreckigen Witze. Gab es etwas Würdeloseres als ein menschlisches Wesen im Urlaub?"

Laurence Shames: Virgin Heat. (Virgin Heat, 1997). Roman. Aus dem Amerikanischen von Veronika Cordes. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2001 (1. Aufl. - Hamburg: Europa Verlag, 1999), 351 S., 16.00 DM, 8.00 Euro (D).

 

© j.c.schmidt, 2001

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen