kaliber .38 - krimis im internet

 

"'Höchst seltsam. Ich verstehe nicht, daß ausgerechnet du immer in
außergewöhnliche Situationen gerätst.'"
(Sein Vorgesetzter Björk zu Wallander)

Das Super-Kurt

 Der Mann, der lächelte Vorweg - Mankells neuer Roman "Der Mann, der lächelte" ist bis zur Schmerzgrenze unplausibel; seine Prosa ist furztrocken, garantiert humorresistent, gespreizt und voller schräger Metaphern und schiefer Bilder. "Der Mann, der lächelte" führt schon kurz nach seinem Erscheinen die Bestsellerlisten an, doch das Erstaunliche ist nicht nur Mankells Erfolg beim Publikum, sondern die Wertschätzung durch das Feuilleton, das nicht müde wird, Mankells dröge Schreibe als Literatur zu loben. Merkwürdig, dass ausgerechnet Henning Mankell durch altehrwürdige Literaturhäuser gereicht wird, in denen man sonst einem Autor selbst den Gang zur Toilette verweigern würde, sobald dieser sich als Schreiber von Kriminalromanen outet. Das Phänomen Henning Mankell ist somit auch ein Phänomen des deutschen Literaturbetriebs.

Ich wage die These - der Erfolg Henning Mankells bei Publikum und Kritik hat ganz entschieden mit dem Missverständnis zu tun, Kriminalliteratur sei nur eine Kategorie innerhalb der Trivialliteratur - ein Missverständnis, dem Henning Mankell mit ganz billigen Mitteln zu widersprechen scheint. Indem er seine Hauptfigur, Kommissar Wallander, mit menschlichen Attributen ausstattet - mit Depressionen, Angst, Wut, Schlaflosigkeit und einem gerüttelt' Maß an Larmoyanz, die leicht als schwermütige Ernsthaftigkeit ausgelegt wird. Oder in dem Mankell seine Texte in bemühte Bilder packt, wie dieses etwa: "Die Angst war wie ein Raubtier. Wallander sollte sich später daran erinnern wie an ein Raubtier, das zum Sprung ansetzte. Das Bild erschien ihm selbst kindisch und wenig originell."

Mankell produziert Kriminalliteratur für Leute, die sonst keine Kriminalliteratur lesen, weil diese ihnen zu schmuddelig ist. "Ein Schundroman für die gebildeten Stände" - so der Untertitel eines Romans der Autorin Simone Borowiak. Nirgendwo passte er besser als auf die Romane Henning Mankells. Trivialliteratur für sozial-romantische Bedenkenträger...

* * *

"Wallander setzte sich auf das Sofa und versuchte zu verstehen, was eigentlich passiert war."

 

Hinein: Der Anwalt Gustaf Torstensson, als übervorsichtiger Fahrer bekannt, verstirbt bei einem Autounfall. Angeblich soll er im Nebel zu schnell gefahren sein. Sein Sohn Sten Torstensson, der ebenfalls als Anwalt arbeitet und sich mit dem Vater eine Kanzlei teilt, glaubt nicht an die Unfallversion und sucht seinen Freund Kurt Wallander auf, der sich im dänischen Skagen erholt und seit seinem letzten Fall ("Die weiße Löwin") fest entschlossen ist, den Polizeidienst zu quittieren. Ein paar Tage später wird Sten Torstensson nachts in seiner Kanzlei erschossen. Wallander plagt das schlechte Gewissen, weil er ihm Hilfe verweigerte, kehrt in den Polizeidienst zurück und nimmt die Ermittlungen in den beiden Todesfällen auf.

Da der Mord an Sten Torstensson durch drei gezielte Schüsse eher einer Exekution gleicht, schließen Wallander und seine Kollegen ein Verbrechen aus persönlichen Gründen aus. Sie vermuten Motiv und Täter im Klientenstamm der beiden getöteten Anwälte. Der alte Torstensson arbeitete fast ausschließlich für Alfred Harderberg, der auf Schloß Farnholm residiert und über ein internationales Wirtschaftsimperium gebietet, das die Finanzkraft mancher Staaten in den Schatten stellt. Auf der Rückfahrt von einer Besprechung mit Alfred Harderberg war Gustaf Torstensson gestorben.

Im Nachlaß der Anwälte findet sich eine Postkarte, die Sten Torstensson an dem Tag, als er Wallander in Dänemark um Hilfe gebeten hatte, an seine Sekretärin Berta Dúner geschickt hatte - der Poststempel allerdings stammt aus Finnland. Außerdem stoßen die Polizisten auf einen Brief, in dem ein Lars Borman den beiden Anwälten und ihrer Sekretärin Vergeltung für begangenes Unrecht androht. Doch auch die Borman-Spur droht zu versanden, denn der Mann, der als Revisor den Zahlungsverkehr der Bezirksbehörde Malmöhus überprüfte, hatte sich vor geraumer Zeit erhängt...

Angetrieben von Gefühlen und Eingebungen, die jeglicher Plausibilität spotten, stolpert Wallander durch seinen Fall:

"Wallander setzte sich ins Auto, ohne den Motor anzulassen. Ein Gefühl des Unbehagens hatte ihn ergriffen. Ohne es begründen zu können, ahnte er, daß sich etwas Großes, Schwerwiegendes und Erschreckendes hinter dem Fall der toten Anwälte verbarg."

Durch einen Zufallsfund an der Unfallstelle nach mehreren Wochen entlarvt Wallander Gustaf Torstenssons Tod als Mord. Als er im Garten der Sekretärin Berta Dúner eine Mine findet, ruft Wallander nicht ein Sprengstoff-Kommando - Wallander bringt den Sprengkörper kurzerhand mit einem gezielten Telefonbuch-Wurf zur Detonation. Eine "plötzliche Ahnung" rettet Wallander davor, in seinem Auto von einer Bombe zerfetzt zu werden. Den Selbstmord Lars Bormans enttarnt der Kommissar als Mord, weil ein verläßlicher Revisor wie Lars Borman sein Fahrrad nicht ins Moos schmeißt, bevor er sich erhängt, sondern es ordnungsgemäß auf den Ständer stellt. Gedungenen Killern, die vor seinem Haus warten, entkommt Wallander, indem er schlicht die Hintertür benutzt. Schließlich: Entgegen jeglicher - auch in einem Kriminalroman zumutbaren - Vernunft dringt Wallander alleine ein ins Reich der Finsternis ("'Ich muß diese Sache selbst in Ordnung bringen.'"). Der alte, träge Herr rettet sich aus auswegloser Situation, indem er zwei schwerbewaffnete Profikiller übertölpelt.

Das Super-Kurt.

Man muß schon tief im Gedächtnis wühlen, um einen Text zu finden, in dem der Autor seiner Hauptfigur soviel Mythisch-Heldenhaftes abverlangt hätte. Der Einwand, Mankell schreibe im Grunde keine Kriminalliteratur und müsse sich daher nicht an das Gebot der Stichhaltigkeit halten, läuft ins Leere: Hätten Sie etwa jemals einen Mankell-Roman gelesen, wäre Kurt Wallander nicht Polizist, sondern Postbote? Als Polizei-Romane gelesen aber sind Mankells Bücher nicht wesentlich realistischer oder relevanter als die Abenteuer von Käpt'n Iglo.

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"Im stillen stöhnte er über seine schwerfällige Art, sich auszudrücken."

 

Wenn Mankell die Geduld seiner Lesers mit der unglaubwürdigen Handlung schon arg auf die Probe stellt, überspannt er den Bogen endgültig mit seiner affektierten Schreibe. Da raunt Wallander von "falscher Lebenszeit". Von dem Bild des kalt-lächelnden Mannes ist er so berauscht, dass er es seitenlang bezwingen, zerschlagen, auslöschen und weiß der Kuckuck was noch alles will. Auch mit dem Bild der gesichtslosen Männer, die immer dräuend im Schatten stehen, strapaziert Mankell die Nerven seiner Leser. Aber wenn ihn die Muse mal so richtig in den Arm genommen hat, dann werden wir mit folgendem Erguss belohnt: "Die Masten der Straßenbeleuchtung bogen sich, als zerrten gefangene Tiere an Käfigstäben."

Nicht zufällig ist ihm die wundersame Welt der Meteorologie ein unerschöpflicher Metaphern-Quell: Wenn Wallander am Anfang mit der Entscheidung ringt, den Polizeidienst zu quittieren, weist uns Mankell mindestens einmal pro Seite auf den Nebel hin. Als Wallander Schloss Farnholm verlässt, schlägt "ihm der Sturm entgegen". Mankells Bilder und Metaphern sind abgedroschen und - das ist das eigentlich Ärgerliche - dienen dazu, das Geschilderte zu naturalisieren. Kurt Wallanders triviale Befindlichkeiten werden so in einen höheren Zusammenhang eingebunden: "Bald ist wieder Winter, dachte er. Schnee und Chaos und Stürme. Und ich bin wieder Polizist. Das Leben wirft einen hin und her. Wann hat man schon selbst das Steuer in der Hand?"
Zeit für Poesie.

Mankell macht ein Fass auf, als wäre man in der griechischen Tragödie oder einem klassischen Drama. David gegen Goliath. Vielleicht ein bißchen Emilia Galotti. Kurt, der Weise. Also sprach Wallander. Ring der Niederungen. Das Banale wird zum Tragödienhaften aufgeblasen - alles wird bedeutungsschwanger verklärt. Und Mankell selbst zündet die sprachlichen Nebelkerzen, deren Rauch Wallander dann wegblasen soll: "Wallander merkte, daß sie nicht die Wahrheit sagte. Aber er beschloß, sie nicht unter Druck zu setzen. Alles war noch zu unklar und schwebend; die Zeit war noch nicht reif." Vielleicht noch ein bißchen Dialektik für Frau Studienrätin? - Ham wa auch: "Wie kann man diesen Lehmboden nur mögen, dachte er. Und doch mag ich ihn. Ich bin ein Polizist, der mit dem Matsch als ständigem Begleiter lebt. Und der dieses Dasein gegen kein anderes tauschen will."
Landschaften mit Auerhahn.

Mankell ist besonders dann hoffnungslos überfordert, wenn es spannend werden soll. Gerät Wallander in augenscheinlich tödliche Gefahr, vertraut der Mankell nicht darauf, dass der Leser in Angstschweiß ausbricht, sondern erläutert die Gefühle seines Helden: "Er war nahe daran, in Panik zu geraten und die Beherrschung zu verlieren." Unmittelbar vor Wallanders drohender Exekution: "Wallander spürte, wie die Angst wieder von ihm Besitz ergriff, kälter und drohender als zuvor. Die ganze Situation war unmöglich. Er mußte aus dem Schloß fliehen, bevor es zu spät war."

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"Er merkte, daß er fror."
"Wieder war er allein im Dunkeln."

 

Mit Henning Mankell (und Kurt Wallander) vergewissern wir uns, dass die Welt genauso ist, wie wir immer vermutet haben - kalt, dunkel und böse. Und es gibt in der zeitgenössischen Kriminalliteratur wohl kaum eine Figur, die dieses Welt-Empfinden so mantrahaft wiederholt und dabei so sprachlos ist, wie Kurt Wallander. Er lamentiert über den Lauf der Welt, aber er reflektiert ihn nicht. Und Henning Mankell schafft es auch nicht, Altbekanntem einen neuen poetischen Ausdruck zu geben: "Dennoch stört mich etwas an diesem Bild. (...) Aber ich bin nicht sicher, ob ich in Worte fassen kann, was ich meine." - Nun, Herr Mankell, vielleicht sind Sie selbst noch unsicher. Wir zumindest sind uns sicher, dass Sie es nicht können.

Henning Mankell antwortete auf die Frage, wie er sich seinen Erfolg erkläre: »Ich muß einfach daran glauben, daß sich Qualität früher oder später durchsetzt. Wenn ich nicht daran glauben würde, wäre ich kein Schriftsteller, sondern ein Scheinheiliger.«
Hm.

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Fußnote fürs Lektorat: Ob Kurt Wallander am 1. November behaupten kann, sein Freund Sten Torstensson habe "ihn vor fünf Tagen in Skagen besucht", wenn dieser bereits am 26. Oktober ermordet wurde, darüber kann man streiten. Jedoch: Wenn der 31. Oktober ein Sonntag ist, dann sollte der 24. Oktober kein Dienstag sein, wie etwa 20 Seiten später behauptet wird.

 

© j.c.schmidt, 2001

 

Henning Mankell: Der Mann, der lächelte. (Mannen som log, 1994). Roman. Aus dem Schwedischen von Erik Gloßmann. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2001, gebunden mit Schutzumschlag, 382 S., 39.90

 

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