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Cream of Crime 11/1998

Liza Cody: Blüten für Mama

 

Literatur und ihre Distribution stehen sich manchmal fatal im Weg. Ich würde zum Beispiel hinter einem Taschenbuch in einer allgemeinen TB-Reihe, dessen Umschlag ein miniberocktes und schwarzbestrumpftes, vermutlich weibliches Wesen mit weißer Bluse und Perlenkette ziert und das den Titel "Blüten für Mama" trägt, nicht unbedingt einen bösartigen und wütenden Roman aus den "unteren Schichten" vermuten. Aller dings weiß ich, wer Liza Cody, die Autorin dieses London Noir mit dem schon ganz anders klingenden Originaltitel "Musclebound" ist: Eine der Gründerinnen der weiblichen Privatdetektivromanwelle der 80er Jahre, die sich von der Formel verabschiedetet hatte, als die zur Hohlform geworden war.

Seitdem hat Cody brillante, hochliterarische Kurzgeschichten geschrieben und bis jetzt ein Hörspiel - eine Variation über einen Blues von Robert Johnson - , die weniger ihre Leser denn die Distributoren (Radiosender, z.B.) verstört haben, weil man nicht mehr so einfach "Krimi" draufschreiben kann. Das gilt auch für ihre Romane über die verzweifelt ums Überleben kämpfende Eva Wylie. "Musclebound" ist der bislang dritte Roman um diesen Brecher von Frau, die als Catcherin (die "Killerqueen von London") versucht, aus dem Schlamassel der ungünstigen "Sozialdaten" herauszukommen: Eva Wylie ist eine wenig romantische, ganz und gar unschicke low-life-Figur, für die Cody eine sehr eigene, derbe, aber funkelnde Sprache entworfen hat. Am Anfang dieses Romans ist Eva wieder mal abgestürzt. Mit der Catch-Karriere ist es zunächst aus, Eva hängt wieder an der Flasche, die Muskeln schlaffen ab und irgendein Schmierlapp kann ihr ungestraft eine verbratzeln. Die inspiriertesten Unterhaltungen ("Hörf ?" - "Hip !") führt sie mit einem Kampfhund, der allerdings ein viel zu weiches Gemüt hat. Als sie im Suff mal wieder ein Auto, diesmal jedoch mit einem Sack Falschgeld drin, klaut, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Aber weil Cody Genrekonventionen nicht mehr bedienen mag, führt diese Katastrophe nicht zum Detektiv-Spiel, sondern ins Zentrum von Evas Unglück: In ihre ekelhafte, widerwärtige und allzu banale Familiengeschichte.

Der Roman hat viele bemerkenswerte Aspekte. Zwei möchte ich unterstreichen: 1997, als England gerade beginnt, sich im neuen Glanz des Blairismus zu sonnen, verweigert Cody dazu den Applaus. Gegen das Jubelgeschrei setzt sie hartnäckig ihr London der Schrottplätze und schäbbigen Stadtteile, deren Menschen auch bei der "neuen Mitte" außen vor bleiben. Diesen Dissens inszeniert sie weniger mittels einer besonders schrillen Handlung, als vielmehr mittels eine "elaborierten" Gossensprache, die kreischende Obszönitäten, sentimentalen Kitsch, echte Emotion, schlagfertigen Witz, bodenlose Naivität und scharfsinnige Lebensklugheit bündeln kann und die den Roman immer weiter treibt. An dieser widersprüchlichen, aber stimmigen Sprachhaltung zerplatzen alle möglichen Thesen oder Erklärungen, die man aus dem Buch zu ziehen versucht sein könnte. "Musclebound" ist kein Roman übers große Allgemeine, sondern über eine konkrete, menschliche Figur. Zweitens: Die feministische Autorin Cody erteilt jedem Dogma, wie ein "feministischer Krimi" auszusehen hat, eine Absage. Keiner der derzeitigen Lieblingstopoi der Marketing-Masche "Frauenkrimi" taucht auf - die Frauen der Familie Wylie sind sich gegenseitig die ärgsten Feinde, und einen optimistischen Hauch von Solidarität bekommt Eva nur von der von ihr mißtrauisch beäugten "Feindin" Anna Lee (Codys erste Serien-Heldin) und vor allem von einem schwarzen Mann. Am Ende obsiegt Eva zwar nicht über ihre Probleme, aber erliegt ihnen auch nicht. Damit ist die Alternative zum "Superweib", also die "Opferrolle" ebenso als Option ausgeschieden. "Musclebound" hat ein Open End. Das vertragen Kriminalromane angeblich nicht. Nein ? Ach !

 

© Thomas Wörtche, 1998

 

Liza Cody:
Blüten für Mama.
(Musclebound, 1997).
Dt. von Regina Rawlinson.
München: Goldmann 1998.
314 Seiten, DM 12,90
ISBN: 3442439965

Blüten für Mama

 

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