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Leichenberg 01/2014

 

Immer schön gierig bleiben

Bei alles Skepsis gegenüber "Trends" - zumindest eine Tendenz zur Entbanalisierung von Kriminalliteratur kann man optimistischerweise am Jahresbeginn vermuten: Immer schön gierig bleiben von Rob Alef (Rotbuch) beschäftigt sich wie alle seine Romane mit den urbanen Katastrophen, Debakeln und Neurosen. Diesmal liegt der Akzent auf dem Immobilienmarkt und der Müllentsorgung, die Kommissar Pachulke und sein abgedrehtes, in Containern mit Swimmingpool residierendes Bullen-Team beschäftigen. Das Land Brandenburg hat aufgehört, den Müll seiner Bürger zu entsorgen. Deswegen ist Berlin überzogen von illegalen Müllhalden, in denen vom Immobilienboom entmietete Menschen neue Wohnquartiere eingerichtet haben, während in den städtischen Müllsammelstellen (Müsams genannt) dominahafte Müllhostessen die Bürger mit erschütternden pc Pendanterien tyrannisieren. Dazu Sushi-Fetischismus, renitente Büroboten, Verlustängste und blanker Mord - Rob Alefs ausgeklügelte Methode, giftig-kritischen Realismus durch Sur-Realismus zu erzeugen, der immer einen entscheidenen Millimeter neben und hinter der Realität liegt, funktioniert prächtig. Und die Standardsituationen des Ermittlerkrimis werden dabei auch noch vergnüglich persifliert und unterlaufen. Als Stadtneurotiker ist Rob Alef große Klasse.

Keine Vergebung

Viel Politik nach Maßgabe der Zeit (Stichwort NSU mit allen betrüblichen Konnotationen) auch bei Gregor Weber, der versucht, aus Norm-Krimi (Kripo-Team) plus Polit-Thriller (eine Geheimdienstgeschichte) etwas Drittes zu machen, das funktioniert: Keine Vergebung (Knaus) ist eine Art Plan-Spiel: Was passiert, wenn normale Polizisten Verfassungsschützern, die in höherem Auftrag unterwegs sind, in die Quere kommen und sei's nur zufällig? Mordermittlung versus nationale Sicherheit, wie es bei den Amis heißen würde, die solche Themen schon lange durchexerzieren. Gregor Webers Adaption dieses Musters für deutsche Verhältnisse ist sehr plausibel, mit der nötigen kreativen Paranoia ausgerüstet und mit dem sinnvollen Blick auf das Treiben von "Diensten" aller Art in dieser Republik. Ein bisschen unsicher und out of the blue hängt noch eine private Rachegeschichte am Roman dran, eine jener angeblich so spannenden Vater/Sohn (im professionellen Sinne) Storys, die meistens ein wenig aufgesetzt wirken. Vielleicht als Zugeständnis an den "Krimi" als Muster. Müsste Weber aber nicht machen, weil er politische Stoffe sui generis schreiben kann.

M

Ohne die irren realen Manöver von Polizei und "Diensten" könnte es auch M, den neuen Roman von Friedrich Ani (Droemer) nicht geben. Tabor Süden sucht einen verschwundenen Mann, der undercover eine rechte Organisation infiltrieren sollte. Die seltsame, unklare und rechtsstaatlich mehr als bedenkliche Polizeiarbeit hat Konsequenzen und kostet Menschenleben und die eh bei Süden ausgeprägte Melancholie wird zur Triebfeder seines Handelns, das zumindest ein paar Klarheiten bringen kann. M ist, wie alle Tabor-Süden-Romane deutsche Gegenwartsliteratur, deren eminente literarische Qualität sie nicht daran hindert, richtige Geschichten aus diesem Land zu erzählen. Konkret, auf den Punkt, pragmatisch und poetisch.

Schwarzer Sonntag

Extrem politisch gab sich auch der erste Roman von »Schweigen-der-Lämmer«-Erfinder Thomas Harris, Schwarzer Sonntag (Heyne), von 1975, den es jetzt wieder auf Deutsch zu kaufen gibt. Mal abgesehen davon, dass man sich eine sorgfältigere Überarbeitung gewünscht hätte - Gaddafi hieß auch 1975 schon Muammar und nicht Mahmoud etc. -, und dass Harris schon damals ein eher ungelenker Autor war: Spannungsbögen kann er. Hauptsächlich dreht sich das Buch - ganz dem "Schakal" von Frederick Forsyth nachempfunden - um die kühle Schilderung eines Attentats auf den amerikanischen Präsidenten vermittels Luftschiff und die entsprechenden Gegenmaßnahmen. Der palästinensisch-israelische Konflikt ist dabei für die Spannungsdramaturgie zwischen gut und böse wichtig, so wie es bei Forsyth im Grunde egal ist, welche Organisation welchen Staatsmann umlegen möchte. Politische Grauwerte interessierten Harris damals schon wenig - für diese Art der Spannung taten es dann später Psychopathen wie Hannibal Lecter auch. Feiner Einblick in die Mechanik von suspense.

Django Unchained

Das gilt auch für die Comic-Fassung von Django Unchained, nach Quentin Tarrantinos Originaldrehbuch adaptiert von Reginald Hudlin und gezeichnet von R. M. Guéra, Jason Latour, Denys Cowan, Danijel Zezelj und John Floyd (Eichborn). Der politische Aspekt, demzufolge es bemerkenswert sei, dass ein weißer Arthouse-Filmer sich unter Bezug auf Blaxploitation-, Italo- und klassische Western (und deren Comic-Varianten) dem sensiblen Thema "Sklaverei in den USA" annehme, ist auch in der Comic-Fassung der Western- bzw. Thriller-Dominanz untergeordnet. Der Dreh, dass fünf Zeichner in ihrem jeweiligen Personalstil die einzelnen Kapitel umgesetzt haben, ist ästhetisch wegen der verschiedenen Nuancierungen und Auffassungen der Figuren (die noch nicht einmal sehr auf Ähnlichkeit getrimmt sind) spannend, zeigt aber auch, dass der Plot - befreiter schwarzer Sklave holt sich seine Frau zurück und tötet stapelweise Böse und Peiniger - automatisch abläuft und die Figuren in der Tat austauschbar sind, insofern sie mehr als Plot-Elemente sein sollen. »Django Unchained« ist Action pur, Farbe, Bewegung, Dynamik und Tempo. Die Politik sorgt dafür, dass das Ganze korrekt von Statten geht... die Sklavenhalter und ihre hinterwäldlerischen Gehilfen sind fies, der deutsche Dr. King Schultz vertritt den moralischen Grauwert und Black Django den gnadenlosen Rächer - bei dieser perfekten Quotierung (Frauen sind da nicht so vorgesehen) sind die Blutorgien zusagen im abgesicherten historisch-politischen Modus.

 

© Thomas Wörtche, 2014

 

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