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Leichenberg 12/2013

 

Brixton Hill

Das United Kingdom war einst eines der Labors der De-Regulierung, wirtschaftlich, sozial und moralisch. In Zoë Becks neuem Roman Brixton Hill (Heyne) wird gerade Maggie Thatcher zu Grabe getragen, die für diese oft brutalen Umbrüche im Nachkriegseuropa symbolisch steht. Um die Konsequenzen ihrer Politik, um Macht, Gier, soziale Verdrängung, um Klassenkampf von oben und um Gegenströmungen und -bewegungen dazu geht es in »Brixton Hill«. Der Roman heißt wie ein Stadtteil Londons, in dem diese Verwerfungen heutzutage besonders deutlich zu Tage treten. Die Hauptfigur Emma Vine, aus einer Bankiersfamilie stammend, aber weder dort voll integriert, noch in der Opposition, wird Ziel unschöner Intrigen, denen zunächst ihre beste Freundin, dann ihr Bruder zum Opfer fallen. Emma Vine muss zu einer fast Ambler'schen Heldin werden, um aus dem Schlammassel herauszukommen, und das geht nur, wenn sie sich quer durch die Schichten, Klassen und auch Ethnien arbeitet, in deren sich widerstrebenden und kreuzenden Kraftfelder sie gerät. Emma ist Individuum und gesellschaftliches Wesen, persönlichen und politischen Dispositionen und Strukturen gleichzeitig ausgesetzt - so wie alle Menschen im südlondoner Brixton Hill, die verdrängt und vertrieben werden sollen von Leuten, die ihrerseits den strukturellen Gewalten eines durchgeknallten Kapitalismus unterworfen sind. Zoë Beck hat daraus ein erstklassigen Polit-Thriller (oder: politischen Kriminalroman) gemacht - ein intelligentes Buch für intelligente Leser, elegant, ohne gefühligen Fidelwipp und ohne dem verheerenden Postulat nach identifikatorischer Lektüre entgegenzukommen. Die Qualität von Becks Prosa und das intellektuellen Format der Konzeption lassen marketinginduzierte Parameter außen vor. Erwachsene Literatur pur.

Schweinezeiten

Großartige Kriminalliteratur auch aus Haiti: Schweinezeiten von Gary Victor(litradukt) - nur den blödsinnigen, marketinginduzierten Untertitel "Ein Voodoo Krimi" hätte man sich dringend sparen müssen. Denn Schweinezeiten ist ein kompaktes, 128seitiges Delirium, um den versoffenen Polizei-Inspector Dieuswalwe Azémar, der keine Probleme damit hat, Leute zu erschießen. Auch und gerade weil er der vermutlich einzige nicht korrupte Polizist in einem Land ist, wo Korruption so notorisch herrscht, dass man sie kaum erwähnen muss. Gary Victor, ein bei uns noch sträflich unbekannter Autor, in Haiti zu recht eine ganz große Nummer, beschreibt seine Halb-Insel gnadenlos und radikal: "Dieses Land war eine Guillotine, die jedem seinen klaren Kopf abschlug". Haiti ist den Begehrlichkeiten des reichen Nordens ausgesetzt: Als Organbank deren, sie es sich leisten können, Kinder ausweiden zu lassen; als spiritueller Kampfplatz, auf dem Fundamentalchristen gegen den als Werk Satans erklärten Animismus anplärren und als Experimentierfeld US-amerikanischer Wirtschaftsinteressen und südamerikanischer Drogenkartelle. Suff, Delirium, clairvoyance, sich in Schweine verwandelnde Menschen und Halbwesen aus der Voodoo-Welt sind nicht unbedingt Hinweise darauf, dass Schweinezeiten ein Schema-Mix aus Crime und Fantastik ist, sondern sorgen für den V-Effekt, der aus Texten Literatur macht. Und zwar feinste Literatur.

In der Nacht

Wuchtig kommt auf den ersten Blick Dennis Lehanes In der Nacht (Diogenes) daher. Eine sehr robuste Geschichte über den Bostoner Gangster Joe Coughlin, den wir gleich in der ersten Szene in einer superklassischen Situation aus Mafia-Narrativen treffen: Mit den Füßen im Bottich auf dem Meer, worin er gleich mit cementa shoesa versinken wird. Oder doch nicht? Lehanes Epos vom Prohibitionsgewinnler Coughlin, der ganz im Sinne seiner späteren Geschäftspartner Lucky Luciano und Meyer Lansky kapiert, dass man im Organisierten Verbrechen nur dann was wird, wenn man illegales Geld in legales umwandelt und nebenbei auch noch sozial klug agiert, ist clever geplottet und historisch bestens abgesichert. Alles, was das Herz begehrt: Schöne Frauen, böse und gute, irre Killer, kauzige Mafiabosse, rustikale action und viel angewandte Betriebswirtschaft. Ein wenig zu viel pseudophilosophisches Geblubbere, was man aber als "psychologische Tiefe" der Figuren durchgehen lassen kann. Alles okay also, fein. Was mich allerdings ein klein wenig stutzig macht: »In der Nacht« liest sich im Grunde wie die Kurzfassung der genialen, von Martin Scorsese inspirierten und produzierten HBO-Serie »Boardwalk Empire«. Natürlich mit leichten Abweichungen in Ort, Zeit und Personal, aber durchaus aus dem gleichen Geist. Wie überhaupt das ganze Buch eine große Scorsese-Nachbarschaft hat. Man kann das natürlich begrüßen.

Strasse des Todes

Leicht zwiespältig auch Strasse des Todes von Robert Crais (Heyne): Eine betrüblicherweise sehr realitätshaltige Story aus dem Grenzland zwischen USA und Mexiko, wo illegal aliens zu all ihrem Unglück beim Grenzübertritt auch noch entführt werden, um Lösegeld aus den Verwandten herauszuquetschen und wenn nichts mehr zu holen ist, einfach umgebracht werden. Gegen diese üblen Machenschaften lässt Robert Crais seine PI-Veteranen Elvis Cole und Joe Pike (verstärkt durch den Söldner Jon Stone) antreten, die mit dem Gesindel aufräumen. Gut und böse, schwarz und weiß, alles klar, keine Zweifel. Aus Gründen der politischen Korrektheit gibt es ein paar ganz okaye koreanische Gangster, aber letztendlich werden die Bösen (meistens mit Latino-Namen und rechte Bestien allesamt) ihrem verdienten Schicksal zugeführt. Gähn, das Hohe Lied auf Soldatentum und US of A (right or wrong, my country) nervt und ist von den eher hochauflösenden Romanen Don Winslows, die so ungefähr in der gleichen Gegend mit ähnlichen Themen spielen, planetenweit entfernt.

Ganz ohne Worte hingegen kommt das wunderbare, vom Thomas Ott bebilderte, nach einer Idee von Thomas Jane von Tab Murphy inszenierte Bilderbuch Dark Country (Edition Moderne) aus. Das ist witzig, grusig, virtuos und clever, ein echter Ott. Große Klasse...

 

© Thomas Wörtche, 2013

 

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