Fröhlich pfeifend geht's in den Frühling. Pfeifen wir aber allzu fröhlich zum Beispiel "'Ndrangetha, camurra e mafia" mit oder "A'mbasciata" und andere heitere Melodien, weil wir gerade die schöne CD Il Canto di Malavita (PIAS D 4703 CD) hören, dann verstehen wir entweder den Text nicht oder es ist uns egal, dass wir La Musica della Mafia (so der Untertitel) mitträllern. Die Musik der Mafia (eigentlich die der kalabrischen 'Ndrangheta) benutzt volkstümliche Weisen, um immer wieder schauderhafte Drohungen auszustossen: An die, die sich nicht an den Ehrenkodex des Schweigens halten. Es sind Morddrohungen im Viervierteltakt, sozusagen. Die kompetent gemachte CD führt uns Mafia-Folklore im wahrsten Sinn der Wortes vor.
Ohne Mafia und ähnlich finstere Wurzelzwerge kommt der wirklich nette, kleine Thriller Das Taxi-Komplott von John McLaren (Heyne) aus. Dunkelmänner gibt es da zwar auch, aber die sind Banker, Unternehmensberater und Broker. Sie halten sich für die Elite des neuen Jahrtausends und ihre Umwelt für nichtexistent. Dumm nur für sie, dass die Taxifahrer in der Londoner City zwar keine Nobel-Diplome haben, aber helle Köpfchen. Und weit offene Ohren für das, was im Taxi geprahlt und renommiert wird. Tja, und dann kommt es bei verschiedenen Firmen-Übernahmen zu veritablen Überraschungen, von denen letztendlich die cleveren Cockneys profitieren. Aber bis es so weit ist, gerät manch Schweizer Bankhaus ins Schiwtzen. Bedauerlich, wenn dieses Büchlein übersehen würde.
Nicht übersehen kann man den neuen Roman von Ian Rankin: Der kalte Hauch der Nacht (Manhattan HC), dessen Originaltitel, Set of Darkness, der nüchternen Prosa von Rankin bedeutend sinnvoller entspricht. Die Inspector-Rebus-Roman (Zwischenruf: Detective Inspector ! Nicht "Inspektor", die gibt's vielleicht bei den Wasserwerken - und dass in der deutschen Fassung auch "Hauptkommissare" durch Edinburgh toben, ist nicht komisch) von Rankin fügen sich zu einer Gesellschaftschronik von Schottland, die schlichtweg grandios ist. Man soll diese potentielle Qualität von Kriminalromanen nur sehr vorsichtig bemühen, weil jeder geschwätzige Unfung gerne als "Gesellschaftschronik" hochgejubelt wird - hier allerdings macht es Sinn. Denn Rankin verzichtet auf jede genre-übliche Stilisierung: Keine schrillen Monster, keine sinnlosen formalen Exerzitien, nur die klare und leicht ironische Beobachtung des Verbrechens als menschliche und soziale Verhaltensform. Durch die weisen, melancholischen und illusionslosen Augen von John Rebus, der immer noch keine Karriere gemacht hat und sie nimmer machen wird. Allein das eingelagerte Porträt des schleimigen Karrieristen, Detective Inspector Derek Linford ist ein literarisches Meisterstück, weil es eben keine Karikatur ist.
Um danach nicht auf den Boden der üblichen Banalitäten zurückzufallen - ein Klassiker: Wieder zu haben ist Eric Amblers Doktor Frigo (Diogenes). Das Buch, das ein paar Jahre vor der sandinistischen Revolution in Nicaragua eben deren späteren Verlauf bis ins verästelte Detail beschrieben hatte. Das war damals sensationell, weil es die Frage nach der prognostischen Kraft intelligenter Literatur aufwarf. Heute, mit historischem Abstand wieder gelesen, ist es ein womöglich noch hellsichtigeres Buch über politische Mechanismen. Und darüber, wie man mit präziser Prosa daraus Literatur machen kann.
Das europäische Geistesleben hat, glaube ich, noch immer nicht kapiert, was für einen grossen Geist es mit Eric Ambler verloren hat. Und wie bitter es sich rächen wird (und schon rächt), ihn nicht mit allen Ehren, Preisen, Lexikon- und Schulbucheinträgen überhäuft zu haben.
© Thomas Wörtche, 2001