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Leichenberg 03/2000

 

Zwei Jahre dauerte es, bis es endlich auf meinem Schreibtisch landete: Krimis im Fadenkreuz, das bibliographische Megawerk von Thomas Przybilka (baskerville) - eine sogenannte "Auswahlbiobliographie" der deutschsprachigen Sekundärliteratur zum deutschsprachigen Krimi von 1949 - 1992. Sogenannt deswegen, weil die leise Möglichkeit besteht, dass ein oder zwei Artikel fehlen mögen. Bei ungefähr 10.000 Einträgen. Wer sich also einigermassen seriös mit dem deutschsprachigen (also auch: gesamtdeutschen) Krimi, seiner Rezeption, seinem Standing in der Öffentlichkeit, seinen weniger ästhetischen denn ideologischen Schlachten und Scharmützeln, kurzum seinem Glanz und Elend befasst, kommt um das Werk nicht herum. Das gilt auch und besonders für Bibliotheken aller Art, für die die DM 198.- Anschaffungspreis trotz Etatproblemen vielleicht nicht allzu schockant sind. Gute Bibliographien sind nun mal der materielle Unterboden für sinnvolles Reden über Gegenstände. Der Herausgeber ist übrigens bereit, viele der aufgeführten Artikel in ihre ganzen Länge (gegen Gebühr) zu beschaffen. Anfragen unter mlbonn@t-online.de.

Hätte zum Beispiel die sonst geschätzte Joyce Carol Oates nicht nur in neurologischen, sondern in kriminalwissenschaftlichen und belletristischen Bibliographien geblättert, wäre ihr vielleicht ein wenig blümerant geworden und sie hätte nicht ihre beträchtlichen schrifstellerischen Fähigkeiten dazu aufgewendet, noch einen Serial Killer so sensibel, so liebevoll und so einlässlich zu charakterisieren. Das geht daneben, und so feiert ihr Zombie (DVA) in erschreckender Klischeehaftigkeit mal wieder bloss das romantisch-faszinierend kalte und gefühllose "Monster" als Outsider der Gesellschaft. Denn, heissa, wer möchte nicht so schick missverstanden werden? .

Ganz unmissverständlich hingegen ist der synästhetische Effekt, den die wunderbaren alten Barden vom Buena Vista Social Club auf andere Künste haben: So ist "Kuba" zum Beispiel wieder ein Thema, auch für Literatur. 1958, also vor Castro und zu Hochzeiten der ersten Karriere von Rubén Gonzalez und den Seinen spielt der schöne PI-Roman Wiedersehen in Havanna von Miguel Barroso (Claassen), als in Malecón noch die Neonlichter glänzten, Meyer Lansky den Ton angab, in den Casinos und Hotels die grossen Mambo-Bands dröhnten und George Raft eben mal vorbeischaute. Ein grandioses Stück Nostalgie über schlimme Zeiten. .

Nicht minder schlimm die Zeit nach Castro (und die von Castro sowieso). Bei James Coltranes raffinierter Mischung aus Abenteuer-, Liebesroman und Polithriller ist El Maximo Líder tot und das ganze Guerrilla-Gemetzel geht wieder von vorne los: Ortegas Finale (Dumont) heisst diese schlanke, sehr lakonische, extrem sportliche und skeptische Buch.

Apropos Nostalgie: Michael Larks Comic-Fassung von Raymond Chandlers Die kleine Schwester (Carlsen) inszeniert den Klassiker noch klassischer schwarz/weiss als jeder film noir. Reduktion, Fläche, viel schwarz, wenig weiss und ein sehr schön abstrahierender Erzählduktus machen den Chandler-Plot zwar nicht plausibler, aber zum ästhetischen Ereignis. Historismus pur.

Kriminalliteratur pur mit starkem Akzent auf Literatur ist Auf Rosen gebettet von Bill James (Ullstein). Es handelt sich zwar schon um den zehnten Roman mit dem wunderlichen britischen Polizisten Colin Harpur, aber immerhin besteht jetzt die Hoffnung, die ganze Serie, die ein Highlight der englischen Kriminalliteratur überhaupt ist, endlich auf deutsch lesen zu dürfen. Allein James' Fähigkeit brillante Dialoge und innere Monologe zu schreiben, hebt ihn aus dem grossen, grauen Feld jeder Gegenwartsliteratur heraus.

 

© Thomas Wörtche, 2000

 

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