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Leichenberg 03/2004

 

Kaltes Grab Im 18. Jahrhundert hätte man gesagt: »Ein tüchtiges Stück Rindfleisch«. Ein tüchtiges Stück englischen Polizeikrimi legt auch Stephen Booth mit seinem dritten Buch über die beiden copper Ben Cooper und Diane Fry vor: Kaltes Grab (Manhattan). Booth hat von allen gut gelernt - von John Harvey, Ian Rankin, Reginald Hill und Peter Robinson und allen anderen, die den »neuen« englischen Polizei-Roman seit Jahrzehnten zu solider Qualität geführt haben. Auch Booth bemüht sich um einigen Realismus in Sachen Polizeiarbeit, um einigermassen plausible Schilderung von Ort und Zeit und um glaubwürdige Figuren. In diesem Buch geht um die im UK weit verbreitete Spezies der Militaria-Sammler und um eine Community polnischstämmiger Menschen, allesamt Nachfahren polnischer RAF-Piloten aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber im direkten Vergleich mit den Grossmeistern des Sub-Genres kann Booth noch nicht mithalten - wo Reginald Hill vertrackte und brillante intellektuelle Spiele treibt, bleibt er bieder, und wo John Harvey Melancholie und Eleganz der Prosa zum Einsatz bringt, bleibt er unauffällig, wenig konturiert. Einen eigenen Booth-Ton kann ich (noch?) nicht sehen. Statt dessen versucht er, Bedeutsamkeit durch Quantität (538 Seiten!) zu erzielen, und das gerät ihm nicht ab-, sondern ausschweifend und oft einfach redundant. Kein Surplus also nirgends, sondern einfach ein ordentlicher, um ein Drittel zu langer Krimi.

Dunkelkammer Von der Qualität ihrer Prosa her gesehen, ist Louise Welsh da schon ein anderes Kaliber: Dunkelkammer (Kunstmann) heisst ihr Erstling, der sofort Lob und Preis einheimsen konnte. Es geht um eine Figur namens Rilke, schwuler Auktionator in Glasgow, der beim Auflösen eines Haushaltes auf eine üble Pornosammlung mit sogenannten »Snuff«-Fotos stößt und nachgräbt. Warum er das tut, bleibt mir zumindest sehr unklar. Weil Schwule einen Hang zur Devianz haben? Ich will nicht hoffen, dass das der Punkt ist. Welsh gelingen ausgerechnet dort, wo die einzelne Szenen am weitesten von der Haupthandlung entfernt sind, in der Tat brillante Passagen - bei der Schilderung von professionellen Edelramschhändlern z. B. Ansonsten ist das Thema des Buches mit Kulturzitaten aufgeladen bis zum Anschlag. Devianz ja, aber nicht ohne Rilke (da geht`s schon los), Keats, Wordsworth, Rimbaud, Verlaine et al. Mal wieder ein ekliges Sujet - hier das Pornobusiness -, das mit Kultur irgendwie schicker rüberkommen soll. Ach, ja ...

 Und Piccadilly Circus liegt nicht in Kumla Ein sehr versierter Erzähler ist auch Håkan Nesser, dem man die Rolle des Thronfolgers in der Mankell-Dämmerung zugewiesen hat. Und Picadilly Circus liegt nicht in Kumla (btb), sein neuester Roman folgt stur den erfolgversprechenden Trampelpfaden des Ressentiments. Hier bringt eine Frau mit ausländischem Namen und vermutlich sexueller Autonomie Unruhe in ein schwedisches Dorf im Jahr 1967. Kein Wunder, dass die Männerwelt da zur Axt greift. Wie Welsh hat auch Nesser seine besten Momente da, wo er weit von der Haupthandlung entfernt ist - bei ihm ist das das Psychogramm eines 17jährigen, der die Umbrüche in der grossen Welt aufgeregt und bewegt verfolgt - mittels Musik, Lektüre und Liebe. Am erzreaktionären Kern des Romans ändert das allerdings keinen Deut.

Deswegen zum Schluß noch der Hinweis auf die klare, intelligente, witzige Luft wahrer demokratische Skepsis: Bei Diogenes gibt es druckfrisch eine Neuauflage von Schmutzige Geschichte, Eric Amblers zweiten Roman um den kleinen, miesen Gauner Arthur Abdel Simpson und wie er diesmal in einen netten, kleinen Krieg stolpert, den zwei Interessengruppen mittels Privatarmeen in Afrika führen. Naja, so sieht es auf den ersten Blick aus und dann kommt wieder eine Amblersche Lektion in Realpolitik. So schrieb man schon 1975 intelligente Bücher. Also, wider den kulturellen Gedächtnisverlust: Ambler lesen!

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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