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Leichenberg 03/2005

 

Einfaltspinsel Erinnern Sie sich noch an die beiden unglaublichen ersten Romane von Tom Sharpe? »Riotous Assembly« und »Indecent Exposure« (dt. »Tohuwabohu« und »Mohrenwäsche«) aus den frühen 70ern, wegen denen Sharpe hochkant aus dem Apartheids-Südafrika rausgeflogen ist? Romane, bei denen man winselnd auf dem Boden lag vor Lachen, vergisst man nicht. Das hatte Biss, wirklich bösen, sehr bösen Witz, Tempo, war politisch unkorrekt und provokant bis zum Anschlag und zelebrierte eine anarchische Gnadenlosigkeit, die noch heute prächtig funktioniert. Richtig berühmt wurde Sharpe dann mit »Wilt« (dt:» Puppenmord«, 1976), seinem fünften Buch, das zwar noch irgendwie ganz lustig war, aber nicht mehr wirklich böse. Und jetzt, 2005, dürfen wir entsetzt den vollendeten Niedergang eines grossen Autors bedauern: Der Einfaltspinsel (Goldmann) ist so traurig zusammengezimmert, so gagfrei, so bemüht witzisch, so schlecht gestrickt, dass man sein Haupt verhüllen möchte und nur noch weinen. Ach und Weh!

Formula - Tunnel des Grauens Ach und weh auch über Preston/Childs Formula. Tunnel des Grauens (Knaur). Eigentlich können Douglas Preston und Lincoln Child mit möglichst realitätsfreien Plots ganz wunderbar Geisterbahn spielen - thrill und Ž als l`art pour l`art ohne störenden Sinn, erfreulich bedeutungslos. »Formula« aber ist der Sündenfall: es ist ein langweiliges Buch, bei dem man schnell weiss, wie der Hase läuft. Denn natürlich interessiert es keinen Menschen, aus welch verwickelt schwachsinnigen Gründen zwei Serial-Killer, senior und junior sozusagen, die Essenz zum ewigen Leben aus anderen Leuten rausschnitzen. Spannung muss bei diesem Tpy Buch aus der Dramaturgie kommen, aus action und der Inzenierung der Effekte. Und nicht aus Reflexion und Historie.

Ach, dachte ich auch nach den ersten Seiten von J.J. Connollys Debut-Roman Layer Cake: Willkommen im Club (Rogner & Bernard), auf denen uns der namenlose Held eitel und geschwätzig erklärt, was für ein cleverer Hirsch er als Dealer ist. Aber das schafft nur die Fallhöhe, wie sich glücklicherweise herausstellt, für einen stocksoliden, spannenden und realitätstüchtigen britischen Gangsterroman etwa in der Linie Ted Lewis, G.F. Newman und Jake Arnott. Ganz interessant ist, wie Connolly sich middle of the road bewegt und sich von der perfiden Eleganz eines Bill James auf der einen Seite und der verzweifelten Schwärze von Derek Raymond auf der anderen Seite fernhält. Das macht das Buch zu einer angenehmen Lektüre ohne grossen Mehrwert.

El Bronx Ästhetischen Mehrwert en gros bietet die Isaac-Sidel-Saga von Jerome Charyn. Sie gehört ohne wenn und aber zu den wichtigsten, bedeutendsten und grandiosesten Projekten der US-amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts, von Melvillscher Dimension. Deswegen bricht einem fast das Herz, wenn man El Bronx (Rotbuch) als »Isaac Sidels Neunter Fall« auf dem Umschlag angepriesen findet, als handele es sich um irgendeinen Krimi. Der Roman stammt aus dem Jahr 1997, da war Sidel, der Cop, Mafioso und Mörder, der es bis zum Vize-Präsident der USA bringen wird, gerade Bürgermeister von New York und will verhindern, dass die Bronx völlig verkommt, weil auch noch das Yankee Stadium abgerissen werden soll. Wie immer bei Charyn entfaltet sich ein analytisches Delirium aus Mythos, Realität und Halluzination. Ob wir zu Lebzeiten (unserer und der des Autors) je den ganzen Zyklus komplett auf Deutsch lesen dürfen?

Ähnlich gewichtig ist Paco Ignacio Taibo IIs Die Rückkehr der Schatten (Assoziation A). Taibo macht strukturell da weiter, wo er bei Vier Hände aufgehört hat. Er überlagert geschichtliche Realitäten und Fiktionen solange, bis die tolldreiste Geschichte von Nazi-Agenten 1941 in Mexiko absolut plausibel erscheint und giesst ein Füllhorn von erzählerischer Opulenz über sein verblüfftes Publikum.

Und noch ein Hinweis: Dass der film noir und der deutsche expressionistische Film eine hochproduktive Verschmelzung im Hollywood der 40er eingegangen sind, ist keine sehr überraschende These. Aber sie ist in dem Band von Barbara Steinbauer-Grötsch: Die lange Nacht der Schatten. Film noir und Filmexil (Bertz+Fischer) besonders schön belegt und dokumentiert. Mit vielen Bildern!

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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