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Leichenberg 03/2008

 

Roter April

Félix Chacaltana ist Stellvertretender Bezirksstaatsanwalt in Ayacucho, einem Flecken in den peruanischen Anden. Er ist ein ein Opportunist, ein Weichei, ein kalkulierender Naivling und irgendwo ein liebenswerter, dümmlicher Tolpatsch. Das ideale Opfer und der ideale Funktionär für allerlei staatliche Ränke, als es darum geht, die von Zeit zu Zeit wiederaufflackernde Terror-Tätigkeit des Sendero Luminoso, des Leuchtenden Pfades politisch zu instrumenalisieren. Roter April (Suhrkamp) heißt der Roman von Santiago Roncagliolo aus Peru, der mit den bösen und miserablen Konstellationen seines Landes böse und blutige Scherze treibt. Ein politischer Kriminalroman auf hohem literarischen Niveau und insofern schon fast prototypisch für ein kulturelles Milieu, das mit dem Kriminalroman etwas anderes zu bieten hat als Blut und Spiele. Und meilenweit vom didaktisch wertvollen Schulfunk entfernt, zu der die global-crime Welle allmählich zu verkommen droht.

Ein betrübliches Beispiel dafür ist Der Verräter von Bethlehem von Matt Beynon Rees (C.H.Beck). Ein Buch, das mit dem intellektuell bedenklich verwahrlosten Slogan "Der Dashiell Hammett von Palästina" beworben wird - Matt Beynon Rees ist keineswegs Palästinenser, sondern Waliser - und schon gar kein Dashiell Hammett, der nun seinerseits keine literarische Figur wie der Held des Romans, Omar Jussuf war, welcher außerdem ganz und gar nicht der "erste palästinensische Ermittler der Literatur" ist. So macht man schon mal auf dem Cover ganz schlechte Stimmung für ein Buch, das auch dann nicht besser wird, wenn man zwar eine kleinteilig genaue Schilderung des Alltags in Bethlehem geliefert bekommt, aber die Figuren grundsätzlich nicht miteinander, sondern mit dem Publikum reden. Nicht um zu dialogisieren, sondern um ihm die politische, soziale und psychologische Lage eifrig zu erklären. Das ist nicht fiction, das ist Schulbuch - und wenn's noch so gut gemeint ist.

Hollywood Station

Keinesfalls benevolent ist Hollywood Station von Joseph Wambaugh (Bastei). Aus dem grossen und wichtigen Innovator der cop novel, dessen Bilderwelten und Darstellungsweisen nicht nur die urbane Literatur der letzten Jahrzehnte, sondern auch mediale Bilderwelten von Urbanität beeinflußt haben, ist ein engstirniger Reaktionär geworden, der um seine Besitzstände bangt. Seine Ruine von Roman mit einer Protohandlung, die niemanden überfordert, der wenigstens ein einziges Ganglion sein eigen nennt, dümpelt von einer Ekel-Anekdote zur nächsten Zote, von Esprit-de-Corps-Kitsch (incl. des tapferen Polizeipferdes) zum Lamento darüber, wie Polizeiarbeit doch durch Minderheitenpolitik und Kontrollwahn behindert wird. Das Ganze noch in schauderhaftes Imperfektdialog-Deutsch übertragen - ja, aha, soso, so sieht also ein Desaster aus!

Ganz im Gegenteil: Shooting Star von Peter Temple (C. Bertelsmann), dessen bisheriges Gesamtwerk jetzt hoffentlich zügig unters deutschsprachige Lesevolk gebracht wird. Wie alle Temple-Romane ist auch dieser eine Vivisektion der australischen Gesellschaft, mit narrativen Mitteln, mit kaltem Blick, in prägnanter Prosa. Familienstrukturen interessieren Temple besonders. Die Familie als Kern alles Übels ist nicht sein flächendeckender Klischeebefund, sondern eine Wahrheit unter anderen - und notfalls gibt es noch schlimmere. Arges Unbehagen ergibt in diesem Fall feinste Literatur.

Die Reisen des Mungo Carteret

Aber auch schieres Behagen kann feinste Literatur ergeben: Wenn sie nämlich so durchtrieben, abgezockt, intelligent und spielmatzig daherkommt wie Gisbert Haefs' Die Reisen des Mungo Carteret, die es jetzt zu einem schönen Story-Band zusammengefasst bei Phantasia Paperback gibt. Dass der leicht snobistische Privatdetektiv Mungo Carteret sich weit in Science-Fiction- Zeiten bewegt stört bei Haefs' Erzählperlchen genauso wenig wie bei Jack Vance, dem großen, alten Weltenerfinder, dem auch die Kriminalliteratur ein paar feine Romane verdankt und dessen Doppelbegabung Haefs hier mit einer regelrechten Vance-Hommage ehrt und feiert.

Das Bilderbuch des Monats ist Unknown Weegee (Steidl), eine neue Sammlung teilweise bekannter, teilweise unbekannter Fotos des grandiosen Polizeireporters Arthur Fellig (1899-1968), der wie kaum ein anderer unsere Bilder von Gewalt und Tod und Blut und Elend auf dem Pflaster der Städte geprägt hat - mit seinen Bildern. Weegee muss man kennen.

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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