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Leichenberg 03/2013

 

Das Ende der Welt

Kein anderer Autor, keine andere Autorin polarisiert im Moment so sehr wie Sara Gran. Ihr zweiter Roman, Das Ende des Welt (Droemer) stört anscheinend einen breiten Konsens, was im Kriminalroman geht und was nicht, was ein "Krimi" sei und was nicht. Tatsächlich ist Grans Hauptfigur Claire DeWitt, die sich als "beste Detektivin der Welt" bezeichnet, für eine Leserschaft, die zwar jeden mit Gekröse werfenden Killer und jedem family-value-Kitsch treu applaudiert, aus Gründen suspekt, die schon in den 1960s für Empörung sorgten: DeWitt ist meistens bis zu den Kiemen vollgekokst oder mit anderen Substanzen bedröhnt, ist sexuell autonom, schnappt sich nach gusto Mann oder Frau für einen Quickie und hängt einem Vordenker an, dem fiktionalen französischen quasi "poststrukturalistischen" Detektiv-Guru Jacques Silette, aus dessen Werk "Détection" sie zitiert, wie man weiland die Mao-Bibel, Marx oder Wittgenstein zitiert hat. Tatsächlich spielt der eine Erzählstrang hier und heute in einem San Francisco, das immer noch oder schon wieder von Hippie- und New-Age-Kulturen geprägt ist, wo man immer noch bei "City Lights" Bücher kauft wie damals die beat poets. Ein zweiter Strang, der dem Buch seinen deutschen Titel gibt (der englische Titel: »Bohemian Highway« fokussiert sich auf San Francisco), führt ins von Grunge und Post-Punk geprägte New York von 1986, als drei Teenies anfangen, die Figur der Detektivin als Schlüssel zur Welt zu verstehen. Eine besonders schmerzhafte Übung, weil im aktuellen Fall ein Ex-Lover von DeWitt umgebracht wird und in der Vergangenheit jemand zunächst gar nicht gerettet werden will. Vermutlich tragen auch der nie eindeutige, oft blank ironische Gestus, die ohne große Erklärungen ineinander verzahnten Zeit- und Erzählebenen, die Sara Gran virtuos, radikal und souverän betreibt, dazu bei, dass sich der gute, alte Privatdetektiv-Roman als innovationsfähig erweist und wieder anfängt, ästhetische Funken zu sprühen.

Brüche

Ähnlich außergewöhnlich, jedoch viel düsterer und hoffnungsloser ist Brüche (Seeling) von Derek Nikitas, einer jener Romane, bei denen sofort klar ist: Das nimmt kein gutes Ende. Auch wenn das Ende das Ergebnis einer meisterhaften Konstruktionsleistung ist, an dem Nikitas alle handelnden Personen, die im Buch an verschiedenen Orten und Zeiten und ein jeder mit seiner eigenen Schuld, Last und Obsession aufgebrochen war, zu einem fatalen Finale zusammenführt. Dazwischen liegen eine Menge deprimierender Zustände und Vorkommnisse - Krebs, Schändung, Gemetzel, Korruption, Wahn -, inszeniert an deprimierenden Schauplätzen der amerikanischen Provinz, wo es kalt und eng zugeht. Genau daraus macht der roman noir eben manchmal gute Literatur. »Brüche« ist ein noir par excellence, wie das Leben von Menschen im Unglück eher beiläufig und versehentlich zur Tragödie werden kann und wie man so etwas sehr gelungen erzählen kann.

Der König von Rom

Zu den bedeutenden und wichtigen Werken der zeitgenössischen Kriminalliteratur gehört »Romanzo Criminale« von Giancarlo De Cataldo - die Saga von Aufstieg und Fall einer römischen Gangsterbande, die sich aus den Vorstädten nach oben, ins Zentrum schießt und mordet und dann wieder verglüht. Man sollte eigentlich die ganze Saga (die neben »Romanzo Criminale« aus den Bänden »Schmutzige Hände« und »Zeit der Wut« - zusammen mit Mimmo Rafele -, alle bei Folio) lesen und sich am besten noch die absolut grandiose TV-Serie (beide Staffeln auf DVD bei Edel) beschaffen. So wird dann die Vorgeschichte des Gangsters Libanese, seiner Bande und wie er beschloss, Der König von Rom (so heißt der aktuelle Band bei Folio) zu werden, zum abschließenden Baustein eines gesellschaftspolitischen, kriminalhistorischen und brillant-analytischen Panoramas, dem Giancarlo De Cataldo und Tobias Gohlis ein resümierendes und mit einer nützlichen Zeittafel ausgestattetes Nachwort beigefügt haben, das die ganze Wucht des Themenkomplexes sehr schön aufbereitet.

Hitchcock und die Geschichte von Psycho

Seit Ashley Kahn mit seinem Buch über die Entstehung von Miles Davis' Jahrtausendalbum "Kind of Blue" bewiesen hat, das man das making of eines einzelnen Kunstwerk durchaus unakademisch und spannend in allen seinen Produktionskontexten und -umständen sehr unterhaltsam aufdröseln kann, machen solche Bücher Karriere. Dasjenige von Stephen Rebello über Hitchcock und die Geschichte von Psycho (Heyne) hat es sogar selbst zur Verfilmung gebracht: "Hitchcock" (von Sacha Gervasi, 2012) und ist ein Beispiel dafür, wie man Film-Geschichte anekdotisch herunterbrechen, Details auf Details häufen und ohne großen Reflexionsaufwand den Eindruck erwecken kann, der geneigte Leser sei dabei gewesen, als Norman Bates und seine Mami... na, Sie wissen schon.

 

© Thomas Wörtche, 2013

 

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