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Leichenberg 04/2003

 

Ach ja, die Werte, für die man sogar in den Krieg zieht: Family values etwa. Jack Hollis, der Protagonist von Bill Pronzinis Roman Dunkler Morgen (Fischer TB), ist ein rechtschaffener, gläubiger, amerikanischer Mittelständler und zur Wahrung eben jener values zum Morden bereit. Es nagen an ihm der G'wissenswurm, Krebs und andere Gebreste, und Hollis ist auch bereit, jedem anderen Menschen in seiner Umgebung dieselbe Mordbereitschaft zu unterstellen, aber irgendwie muss der böse Schwiegersohn dann doch von jemand anderem weggeräumt werden, der möglicherweise noch böser ist. Wenn die Auflösung (Weiber sind doch mieser als Kerle) nicht so kompromisslerisch wäre, wär's ein Klasse-Buch. So ist es nur ein mittlerer Krimi, dessen Implikationen vermutlich nicht mal Pronzini bewusst waren.

Mindestens mittlere Qualität hatte ich mir von der allseits beliebten Finnin Leena Lehtolainen erwartet. Aber nix da: Zumindet Alle singen im Chor (rororo) ist so aufregend wie lauwarmer Kamillentee zu einer »Derrick«-Wiederholung und so plausibel und raffiniert wie letzteres. Immerhin: Als Einschlafhilfe so wertvoll wie Stifters »Nachsommer«, nur für schlichte Gemüter.

Packend immerhin ist Das Gespinst des Briten J.M. Morris (Krüger). Zumindest bis klar ist, wie der Hase läuft. Denn wenn die Erzählerin, die eine grauenhafte Kleinstadt kommt, um ihren verschwundenen Bruder zu suchen und dort von aller Welt bedroht und misshandelt wird, allzu sehr in Stephen-King'schen Bilderwelten schwelgt und es sich nicht um einen Horror-Roman handelt, sondern um einen Psychothriller - ja dann ist klar, dass sie einen an der Waffel hat. Vornehmer gesagt: Der erzählte Alptraum ist Ergebnis eines Schocks oder eines Traumas und dient der Verdrängung. Also ist der einzige spannende Punkt dann noch, wie Morris die Story auflöst. Um es nicht ganz und gar zu verraten: Schwach, ganz schwach und ganz traditionell, als ob das Buch aus den 10er oder 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wäre.

Auch traditionell - wegen der Benutzung von Manga-Strukturen - aber auch ganz originell ist ein atemberaubend guter Comic - 5 ist die perfekte Zahl, getextet und gezeichnet von dem Italiener Igort (avant-Verlag). Die Geschichte über einen alten Camorrista aus Neapel, der eigentlich im Ruhestand ist und nochmal seine Werkzeuge auspacken muss. Klare Bilder, die viele Rätsel aufgeben. Grandios.

Kehren wir nochmal zu den Amis und ihren Werten zurück. Goliath. Angriff aus der Tiefe heisst ein Megalomanie-Schlocker von Steve Alten (Heyne), der den grössten Schurken die vernünftigsten Argumente gegen Imperialismus und Hegemoniestreben in den Mund legt, aber auch sie an der Technik (eine durchgeknallte KI, die ein Supergiga-U-Boot steuert) scheitern lässt, die letztendlich nur die gute, alte Navy wieder in den Griff bekommt. Aber wie immer bei gut gemachten Megalomania-Schlockern ratzfatz und kichernd wegzuschlockern.

Und apropos, Sie wissen schon, noch ein bisschen Realität. Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart (C.H. Beck) heisst ein äusserst kompetenter Sammelband, den Wolfgang Krieger herausgegeben hat. Natürlich setzt die Lektüre ein ganz klein wenig Allgemeinbildung voraus und Sätze, die aus mehr als Subjekt und Prädikat bestehen, sollte man auch bewältigen können. Dann ist viel Gewinn drin.

Und wer sich immer noch wundert, wie böse eine Diktatur sein kann, dem empfehle ich dringend unter den obengenannten Voraussetzungen die von Michael Wildt herausgebene hervorragende Sammlung Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (Hamburger Edition). Doch, doch, Mr. Bush, man hätte es wissen können.

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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