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Leichenberg 05/2001

 

Guter Trash ist was ganz Feines - und die Dylan-Dog-Comics sind sowas von Trash. In Italien sind die von Tiziano Sclavi getexteten und Ugolino Cossu gezeichneten Geschichten um den Privatdetektiv für Paranormales, Dylan Dog, schon längst Kult und Verkaufserfolg (das sind durchaus zwei verschiedene Paar Stiefel) - Carlsen bringt bei uns eine Art best-of-Auswahl im Monatsrthythmus heraus. Und so können wir uns bis jetzt an den Abenteuern Schatten und Schrecken aus dem All erfreuen, die beide ihre mentalen Wurzeln in den Fifties und ihre ästhetischen in den Seventies haben. Da ist das Grauen noch das Grauen und nicht virtuell, da spuken noch Max Schreck als Nosferatu und der Böse Wolf mit dem Hackemesser und Groucho Marx als Groucho (der komische Sidekick von Dylan Dog) durch die Bildwelt und die Mädels haben Miniröcke an und Frisuren wie Julie Driscoll. Konsistenz der Story ist nicht unbedingt ein Vorzug der Serie, aber wer verlangt das schon ? Die Zeichnungen sind erste Sahne (gerade weil sie so ambitionslos wirkungsvoll sind) und am besten hört man Donald Fagens "Nightfly" beim Schmökern. Klasse...

Auch erste Klasse ist eine Archäologie-Schote: Thunderhead von dem einschlägigen Duo Douglas Preston und Lincoln Child (Droemer). Vordergründig geht es um eine verborgene Anasazi-Stadt, um durchgeknallte Skinwalker und die etwas sehr wackelige These, dass die Azteken auch noch viel weiter nördlich tätig waren als bisher angenommen. Der dramaturgische Kern ist aber die Reduktions-Geschichte einer Expedition aus toughen Frauen, undurchsichtigen Kerlen, heldenhaften Opfern und Neurotikern, die peu à peu von unheimlichen Viechern mit rotglühenden Augen abgeräumt werden. Doch halt: So einfach ist es doch nicht, denn das Buch ist grandios geplottet. Trotz aller Handlungsklischees bringen die Autoren den einen oder anderen überraschenden Dreh rein. Mich hat's eine ganze Nacht gekostet, und das ist ein grosses Kompliment.

Nicht so der ganz grosse Knaller ist der Jubiläums-Band, der 50ste nämlich, aus Ed McBains 87th Precinct-Serie: Dead Man's Song (Europa). Das liegt vielleicht daran, dass er diesmal zu viel Freude an seinem Hauptstrang hatte. Was wir verstehen, denn die Geschichte vom verschollenen Musical, das plötzlich wieder geldwert wird, ist absolut überzeugend und spannend. Nur leiden darunter ein wenig die anderen Stränge. Und weil die multiple Handlungsführung sonst McBains Markenzeichen ist, ist man leicht unterfordert. Positiv hingegen fällt auf, dass McBain explizit politisch wird, ob man sich seiner Sichtweise anschliessen mag oder nicht.

Das literarische Highlight aber ist Das grüne Meer der Finsternis von Francisco José Viegas (edition lübbe). Ein ganz langsamer, sorgfältiger und ungeheuer melancholischer Roman aus Portugal, der seine Sätze so zelebriert wie das Essen, das da pausenlos zubereitet wird. Das ist aber um Himmels willen kein Nachzieher von Montalbáns PR-Gekoche, sondern etwas sehr, sehr Eigenes. Viegas beherrscht sehr verschiedene Stilebenen, bringt es fertig, Innere Monologe spannend zu halten (eine literarische Rarität), und vor allem, verschiedene Atmosphären zu zaubern. Das Buch spielt auf der Azorenninsel São Miguel, in Lissabon und in Nordportugal, und genau das ist jeweils zu fühlen.

Und manchmal sind Sachbücher viel spannender als 80% der Roman-Produktion. In die Klasse gehört Miles Harveys wunderbare "Kriminalgeschichte der Kartographie" - Gestohlene Welten (Blessing) - über den materiellen Wert geographischen Wissens in Vergangenheit und Gegenwart, über den ästhetischen und damit materiellen Wert von bibliophilen Landkarten und über das Bündel verbrecherischer Aktivitäten rund um den Profit aus beiden.

 

© Thomas Wörtche, 2001

 

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