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Leichenberg 06/2005

 

Ballettratten in der Vandam Street Es ist ganz einfach, sich unbeliebt zu machen. Wetten?
Ein, zwei Bücher lang fand ich Kinky Friedman ganz unterhaltsam: A Texas Jew Boy, der hübsche, politisch nicht korrekte Spottlieder zum Vortrag bringt und sich krimischreibenderweise über Krimis lustig macht. Das war in den 80ern, und nett. Nicht mehr. Als ich später dann mal erleben durfte, wie der große, böse Kinkster sich von Elisabeth George das Rauchen hat verbieten lassen, ohne Widerworte zu geben - ja, da brach der Nimbus schon ziemlich ein. Und wenn er sich jetzt, ohne irgendwie mit neuen, originellen Ideen aufgefallen zu sein, um den Gouverneursjob von Texas bewirbt, dann ist das nur noch sehr bemüht. Und krimischreibenderweise über Krimis lustig macht er sich auch immer noch: Ballettratten in der Vandam Street (Tiamat) heißt das neue Buch und ist genau so wie die alten. Also irgendwie kicherig und giggelnd. Und insofern weit überschätzt und ziemlich überflüssig.

Ein Schlafpülverchen überflüssig hingegen macht D.W. Buffas Evangeline (Mare Buchverlag). Das ist der Name eines HighTech-Segelbootes, das als absolut sicher galt, bis es doch unterging. Die Überlebenden der Katastrophe mussten dann ein paar Schicksalsgenossen verzehren, um durchzukommen. Das ist alles schon passiert, und wir wohnen der Gerichtsverhandlung gegen den Kapitän des unseligen Schiffs bei. Interessante moralische Konfliktlage, klar, vom Autor auch sorgfältig aufgefächert. Aber als Roman leider nur untalentiert in Szene gesetzt und deswegen ein Besinnungsaufsatz in diversen Aufzügen und Bildern.

Havana Room Sehr viel Talent hingegen hat Colin Harrison. Eher zuviel. Denn ich habe in letzter Zeit selten einen Roman gelesen, der so aus den Fugen geraten ist wie Havana Room (HoCa). Das Leben eines reichen Anwalts gerät ebenfalls aus den Fugen, er kommt ein bisschen herunter, lässt sich mit arg merkwürdigen Leuten ein und stolpert von einer bizarren Situation in die andere. Das Buch hat rasend starke Passagen, wie eine kurze Geschichte Manhattans, die in ihrer Prägnanz schlicht genial ist, und ewige Längen, hechelt jeder Mode von Sex-in-the-City bis halluzinogenen chinesischen Fischen hinterher, zitiert Charyn`sche Maniaken und reproduziert wilde Klischees vom Gangsta Rapper und dem Großen Schwarzen Schwanz. Jo!

Ähnlich opulent, aber von ganz anderem Kaliber ist Die Gefürchteten von Tom Franklin (Heyne). Die Opulenz dieses Buchs liegt in der virtuosen Handhabung verschiedener Genres: Eigenlich ein Western, in dem es um einen Krieg zwischen reichen und armen Leuten 1897/98 in Alabama geht, aber auch eine Parabel über Gewalt und ihre Wurzeln, inszeniert als cop novel, Gangsterroman, Psychothriller und Whodunnit auf einmal, ohne dass diese Komponenten sich in die Quere kämen. Im Gegenteil, sie fügen sich zu einem Neuen, von dem man dann nicht mehr genau weiss, was es ist. Nur: Ein irre spannendes, unbehagliches und grandioses Buch.

Extrem unbehaglich und grandios ist Cinema Panoptikum von Thomas Ott (Edition Moderne). Eine Bildergeschichte ohne Worte, die nichts als Grauen, Panik, Terror, schwarzen Humor, Paranoia und Klaustrophie, Abgründe und schlimme Halluzinationen vermittelt. Natürlich ohne je explizit zu werden. Die strengen, präzisen schwarz/weiss-Bilder von Ott leisten keinerlei Sinnstiftung. Aber sie bieten von Breccia/Sasturian über Poe bis zu den Doors jede Menge verschlüsselte Hinweise auf die subversive Tradition einer noch nicht vor dem Mainstream kapituliert habenden Kultur, die noch Affekte auslösen kann.

Der Klassiker des Monats: Im Zuge der Gesamtausgabe bei List ist gerade John le Carrés Nachtmanager von 1993 wieder erschienen. Es geht um die geopolitischen Bedingungen von Waffen- und Drogenhandel, um die globalen Geldflüsse und die globalen Profiteure. Heute aktueller denn je. Und der Roman macht klar, warum die kulturbetrieblichen Hofschranzen des Neoliberalismus Carré dringend als abgewirtschafteten Autor von Kalten-Kriegs-Schwarten denunzieren möchten. Er ist und bleibt einer der grössten Romanciers unserer Zeit.

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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