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Leichenberg 06/2008

 

Bruderland

Am Kultur- und Verbrechenssraum Baltikum fehlt kriminalliterarisch gesehen noch der deutsche Ostsee-Anteil, geschrieben von ernstzunehmenden Autorinnen und Autoren. Bis es soweit ist, können wir uns ja an die Finnen halten. Naja, "die Finnen" ist vielleicht ein wenig übertrieben. Ganz sicher aber an Matti Rönkä. Dessen Hauptfigur Viktor Kärppä, der uns in dem Roman Bruderland (Grafit) gerade zum zweiten Mal begegnet (»Der Grenzgänger« hieß der Erstling), ist sozusagen die Personifikation dieser Weltgegend. Nordingermanländer, aufgewachsen in der Sowjetunion, jetzt in Finnland lebend, Grenzgänger zwischen beiden Sprachen und beiden politischen Räumen. Verbunden mit dem russischen Organisierten Verbrechen und der finnischen Polizei, verstrickt in geheimdienstliche Strukturen und familiäre Abhängigkeiten. Kärppä tanzt auch zwischen seinen legalen und illegalen Geschäften- Baumaschinenleasing & Leiharbeit -, Laufburschen-Diensten für eine Petersburger "Kasse" (so heißen einschlägige Organisationen, die u.a. im Drogenvertrieb tätig sind) und Informationsbeschaffung für die Polizei von Helsinki. Genauso tanzen Rönkäs Romane irgendwo zwischen Gangsterroman und Privatdetektivroman, sind klar Kriminalromane und entziehen sich weiterer Schubladisierung. Erste Sahne.

Nur Finne zu sein und Drogen, Russen und die Weltpolitik ins Baltikum zu transponieren, reicht aber nicht aus. Das kann man betrüblicherweise bei Taavi Soininvaara und seinem Roman Finnischer Tango (Aufbau) sehen. Das Buch will dringend ein "internationaler Thriller" sein, die Internationalität aber besteht lediglich im Ausknobeln möglichst komplizierter und sinnfreier Plots und putziger Psychopathen. Sowas darf Lee Child machen, weil der solche Knoten intelligent wieder auflösen kann. Wenn die intelligente, raisonable Auflösung aber ausbleibt, soll man es sein lassen. Bei Soininvaara bleibt sie aus.

Wiederholungstäter

Kriminalitätsraum Mittelmeer: Dort verkörpert der in Istanbul geborene und aufgewachsene, mit deutscher Kultur sozialisierte Grieche Petros Markaris die Komplexität und den Reichtum multiethnischer roots. Sein knorziger, unter der Militärjunta ausgebildete und dem Zeitgeist nicht unbedingt freudig ergebene Kommissar Kostas Charitos gehört zu den erfreulichsten Figuren der zeitgenössischen Kriminalliteratur. Makaris hat jetzt keine Biographie, sondern kleine biographische Splitter in einem netten Bändchen versammelt: Wiederholungstäter (Diogenes). Einer schon fast rührenden Naivität in der Einschätzung von Kollegen und Kolleginnen (das Lektorat hat ihn schmählich im Stich gelassen, wenn er z.B. Chandlers Romane nach San Francisco verlegt) stehen extrem kluge und treffende Beobachtungen zur Multikulturalität entgegen. Weisheit durch Erfahrung. Dringende Leseempfehlung!

Weniger dringend lesen muss man Allan Guthrie: Abschied ohne Küsse (HardCase Crime bei Rotbuch). Wannabe-Trash, der doch nur Kalkül ist, wenn auch "Ach-bin-ich-hardboiled-buuh" draufsteht. Dritte Garnitur, weil die Hauptfigur, ein feinsinniger, sensibler Geldeintreiber und Knochenbrecher aus Edinburgh, ein reiner Papiertiger ist, so wie die ganze breitbeinig daherbratzende Handlung fake. Pappmaché-Literatur im doofsten Sinn. Keimige Schmuddelpuff-Atmosphäre für Leute, die so was für romantisch und realistisch halten, nur weil es in ihre spätpubertären, realitätsfernen Phantasien passt. Geschmacklos ist an Guthrie höchstens, dass er geschmacklos sein will und dann doch bloß so radikal ist wie eine parteiinterne Untersuchung bei der Hessischen CDU.

Im Dunkel der Kathedrale

Misslungener Ferkelkram auch aus Tschechien: Im Dunkel der Kathedrale von Miloš Urban (dtv). Warum wir uns blasphemische Pornofantasien des 19. Jahrhunderts in die Prager Gegenwart transponiert, garniert mit ein wenig schwülem Präraffaelismus, und das Ganze getarnt als Verschwörungskrimi im Dom-Milieu - hier der Veitsdom auf dem Hradschin - reinziehen sollen - hmm, man weiß es nicht. Für die Pornokomponente steht der belgische Künstler Félicien Rops (1833-1898), dessen Namensvetter Roman Rops eine von zwei Hauptfiguren des Romans ist, und seine präraffaelitische Leidenschaft gehört einer femme fatale, porträtiert von Dante Gabriel Rossetti ... Aber schön, dass wir´s mal wieder nachgeschlagen haben...

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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