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Leichenberg 06/2011

 

Satori

Don Winslow gehört zu den Großen der Zunft. Das steht nach »Frankie Machine« und »Tage der Toten« fest. Ein weiterer Beleg dafür ist seine meisterhafte Handwerkskunst, die er in dem eher schrägen Projekt Satori (Heyne) brillieren lässt. »Satori« kann man nur verstehen, wenn man den Roman Shibumi von Trevanian aus dem Jahr 1979 kennt, den Heyne zur Flankierung von Winslows Roman neu veröffentlicht hat. Trevanian, der eigentlich Rodney William Whitacker hieß, hatte in Shibumi die Figur des Nikolai Hel erfunden. Hel ist Profikiller im Ruhestand, hat eine komplizierte Biographie im Asien der Zwischenkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit, die ihn Ende der 1970er Jahre wieder einholt. Der japanisch sozialisierte Hel ist eine Art spiritueller Killer, der ohne Waffen töten kann. Trevanian erfindet für ihn einen Supergegenspieler: Die "Muttergesellschaft", eine Struktur, die sich um den ungehinderten Fluss des Erdöls in die westliche Welt kümmert und der deshalb alle Nationalstaaten einschließlich deren Geheimdienste wie die brotdumme CIA untertan sind. Eine Albernheit der späten 1970s und 80s, die jetzt aus PR-Gründen plötzlich zum vergessenen Megaevent des Polit-Thrillers ausgerufen werden soll. Als ob nicht Autoren wie Eric Ambler, Jean-Patrick Manchette, Ross Thomas & Co. in einem Absatz weit radikaler gewesen wären als der ganze Eso-Schmonz von Trevanian, der, nebenbei, auch teilweise grob rassistisch und politisch bescheuert ist - Japan im 2. WK als "anti-imperialistische" Macht. Trotzdem sollte man sich durch die Schwarte fressen, damit man Winslows Prequel würdigen kann. »Satori« liefert die Vorgeschichte Hels - wie er wurde, was er wurde. Winslow baut einen schnellen, von mystischem Fidelwipp und verschwörungstheoretischem Ulk freien Politthriller, der in China und Vietnam in den frühen 1950er spielt, als die Welt noch gärte und die Blöcke noch nicht allzu fest betoniert waren. Winslow verzahnt Realpolitik und Fiktionen so geschickt, dass man fast vergisst, dass man es mit einem fröhlichen Märchen für Jungs zu tun hat: Mit scharfen Frauen, einem unkapputbaren Helden, finsteren Schurken und fiesen Intrigen. Extrem unterhaltsam.

Der Tod und der Dicke

Große Klasse auch zwei Jungs von der Insel: Reginald Hill und Stuart MacBride. Wie der Titel: Der Tod und der Dicke (Droemer) zart andeutet, lässt Hill den fetten Andy Dalziel in die Luft fliegen, worauf Peter Pascoe mit ein paar durchgedrehten Leuten aufräumen muss, die den Irak-Krieg nicht gut verdaut haben. Selbstredend darf man von der Handlung nicht viel mehr verraten und auch die letzten Zeilen hier stimmen so nicht ganz. Deswegen soll man den Roman einfach lesen und sich freuen, wie intelligentes Erzählen sein kann. Hochintelligent auch Stuart MacBride, der die Saga von Sgt. Logan McRae in Dunkles Blut (Manhattan) nicht einfach runtermascht, sondern immer düsterer wird. MacBrides grandiose Idee, mal keinen Kinder-, sondern einen veritablen Greisenschänder zu erfinden, der alles andere ist als nur ein Sexstrolch, ist ein Steinchen im Mosaik des Wahnsinns aus Aberdeen. Der wirkliche rote resp. schwarze Faden aber ist die allmähliche Korrumpierung des Helden McRae. So ein radikales Programm ist mir selten begegnet. Ausgekocht und durchtrieben. Böse!

Der Tod der Kitty Genovese

1964 wurde in Queens Kitty Genovese ermordet, während viele Zeugen passiv zuschauten. Für die Kriminologie der Prototyp des sog. "Bystanders"-Phänomens und somit altbekannt. Dennoch beschäftigen sich zwei Romane gleichzeitig mit diesem Vorfall. Der Franzose Didier Decoin bemüht sich in Der Tod der Kitty Genovese (Arche) um eine quasi-fiktionale Rekonstruktion des Geschehens, kommt aber trotz umständlicher narrativer Spielchen - postmodern? - nie so richtig auf einen Punkt. Deswegen scheint es auch unfair, sein Buch mit dem Erstling von Ryan David Jahn: Akt der Gewalt (Heyne Hardcore) in einen Vergleich zu setzen. Jahn rekonstruiert den Fall Genovese nicht, sondern benutzt ihn als narratives Skelett, um daran eine Menge Alpträume in slow motion aufzuhängen. Eine Frau wird ähnlich wie Genovese ermordet, die Bystanders bekommen eigene Geschichten, eigene Schicksale. Es sind nicht die realen Augen- und Ohrenzeugen von 1964, sondern Kunstfiguren. Auch wenn vielleicht die Konstruktion ein wenig schematisch ist, der Roman über viele Acts of violence (so der bessere O-Titel) ist auf jeden Fall sehr intensiv geraten.

Zu den blödsinnigerweise wenig bekannten Autoren bei uns gehört - trotz gigantisch guter Bücher wie »The Long Night of White Chickens« und »The Ordinary Seaman« - Francisco Goldman. Sonst auf der Welt weiß man diesen wunderbaren Schriftsteller mit guatemaltekischem Background sehr zu schätzen. Rowohlt gibt ihm mit Die Kunst des politischen Mordes dankenswerterweise noch eine Chance. Eine Art True-Crime-Geschichte über den Tod eines guatemaltekischen Bischofs, den man erschlägt. Keine Angst, Goldman macht daraus keine Obristen-Parabel, seine Version aus dem Geiste von Rodolfo Walsh inszeniert eine Mordermittlung als groteskes Theater, ohne nur einmal mit der Wimper zu zucken. Tricky, aber groß!

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

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