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Leichenberg 07/2003

 

Mit period pieces ist ein bißchen wie mit homo sapiens: Als Spezies unerträglich, als Einzelstück manchmal sogar ganz vorzüglich. In letztere Abteilung gehört Franco Mimmis Polit-Thriller Unser Agent in Judäa (Aufbau Tb). Ein klassischer Roman des »Schakal«-Typs, der uns erklärt, was hinter den bekannten historischen Fakten wirklich steckt. Denn die Ereignisse des Jahres 783 ab urbe condita, die mit der Kreuzigung eines gewissenm Jesus von Gamala, genannt der Nazaräer, nur scheinbar endeten, waren das Ergebnis einer römischen Geheimdienstoperationen, um die aufsässige Provinz Judäa endlich zur Ruhe zu bringen. Und wer hätte die besseren propagandistischen Mittel gehabt, einerseits das lokale Establishment und andererseits die Militanten, die Zeloten, auszubremsen, als ein Typ, der radikalpazifistisch argumentiert, ein besseres Dasein im Jenseits verspricht und im Ohrfeigenfall auch noch die andere Backe hinhalten möchte? Das finden die Römer toll, vor allem Pontius Pilatus, dem sein Job als Stadthalter eine üble psychosomatische Psoriasis eingebracht hat. Beinahe wäre das Ding schiefgelaufen, denn Jesus mußte aus einleuchtenden Gründen der raison d'etat gekreuzigt werden, aber dann hat ein alter Polit-Profi in römischen Diensten eine geniale Lösung: Die Nummer mit der Unsterblichkeit. Die wirklich rasend gute Pointe daran erzählt Mimmi schon gar nicht mehr: Der Monotheismus wird sich durchsetzen, die Römer letztendlich erledigen und bis heute viel Ärger machen. Ein wunderbar kluges und spannendes Buch, bei dem allerdings der Verlag einen netten Gag verbaselt hat: Der italienische Originaltitel heisst »Il nostro agente in Giudea«. Das bezieht sich natürlich auf die italienische Version (»Il nostro agente all'Avvana«) von Graham Greenes »Our Man in Havana«, weswegen der deutsche Titel »Unser Mann in Judäa« hätte sein müssen. Schade.

Richtig schade ist auch, dass niemand begütigend auf Bill Pronzini eingewirkt hat. Denn sein Roman Tödliche Fremde (Fischer Tb) bebt geradezu vor Ambition das opus magnum eines Genre-Puristen zu sein. Statt dessen variiert er, vermutlich zum X-tausendsten Mal in der amerikanischen Literatur, den Topos des Fremden durch, der in eine Kleinstadt kommt und nach und nach die wahren Gesichter der innewohnenden Leute demaskiert. Die Außenseiter werden zu den Helden, das Establishment zum wahren Bösen. Klischee-as-Klischee-can und weil Pronzini sein Hauptmuster, »The Killer inside me« von Jim Thompson, nur notdürftig polyperspektivisch tarnt, auch noch durchsichtig. Ambitionitis ist immer schlimm.

Schieres Kalkül aber auch: So haut Karin Slaughter in Belladonna (Wunderlich) so ziemlich alles in einen Topf, was in den letzten Jahrzehnten Marketing-Darling war: Gerichtsmedizinerinnen, Serialkiller, taffe Cop-Ladies und ein bißchen Lesbenkitsch. Ein Patchwork-Buch, bei dem man höchstens die Dreistigkeit bewundern kann, mit der sowas vermutlich computergeneriert werden kann und auch noch auf Beifall trifft. Nu.

Auch nicht schöner die Tendenz, im Zuge von Ländertrends alles unter jedem Stein hervozukratzen, was dort besser geruht hätte: Tod eines Alchimisten von Ferrucci & Leonelli (ein Schelm, wer ...) bei Scherz ist so ein Fall. So eine wirre Exposition hab ich selten gelesen und besser wird's auch nicht. Aber das Buch kommt aus Italien. Toll.

Deswegen raten wir zum Schluss dringend, zu bewährten Dingen zu greifen: Zu Blutschuld von Ian Rankin (Goldmann) etwa. Ein Rebus-Roman, der zwar schon zehn Jahre alt ist, aber wie immer bei Rankin klug gemacht und klug geschrieben ist und LeserInnen nicht unterstellt, Volltrottel zu sein.

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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