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Leichenberg 08/2007

 

Ciao Papá

Hin und wieder ist es sinnvoll, sich bewußt zu machen, dass die Kriminalliteratur nicht nur aus Ansammlungen von Serien besteht. Der Terminus »standalone« hat sich für Kriminalromane eines Autors eingebürgert, die abseits von seinen Serien-Konzepten stehen - also eigentlich der Normalfall der übrigen Literatur abseits genremäßiger Kalküle sind. Ciao Papá von Juan Damonte (Lateinamerika Verlag) ist kein solcher Fall - er ist der einzige Roman von Damonte. Der (geb. 1945, gest. 2005) war eine geheimnisvolle, numinose Gestalt, womöglich eine tragische. Ein zweites Manuskript ist angeblich verloren gegangen, Genaues weiß man nicht. Damontes Nimbus in Lateinamerika ist enorm. Tatsächlich ist »Ciao Papá« ein ungeheures Buch. Es spielt während der Militärdiktatur in Buenos Aires. Militärs und Mafia haben sich auf ein fragiles Tolerierungsarrangment eingelassen, das Organisierte Verbrechen hat schließlich verschiedene Gesichter. Nur die Hauptfigur, Carlitos Tomassini, ein gerade aus dem Knast entlassener Klein-Mafioso, hält sich nicht an den Deal, als seine Mutter und andere Verwandte zum »Kollateralschaden« des Staatsterrors werden. Bis zu den Kiemen voll mit Koks und Alk beginnt er einen selbstmörderischen Feldzug durch ein gespenstisches Buenos Aires, dem jedes Gran von Porte_o-Romantik ausgetrieben ist. In einer beinahe unerträglichen, halluzinatorischen und deliranten Szene landet er schließlich auf einer gigantischen Müllkippe, auf der die Militärs ihre umgebrachten, gefolterten, verstümmelten und zerstückelten Opfer entsorgen lassen. Da obwaltet kein literarischer kitsch noir, sondern der reine Horror. Ein bösartiges, ein ungemein intensives Buch, ein Kriminalroman sui generis!

Kriminalliteratur besteht eben nicht nur aus schnuckeligen Gruselgeschichtchen über putziges Mordeln und Schlachteln, selbst der schwachsinnigste Serialkillerroman spielt mit Realien herum, auch wenn er das oft gar nicht weiß. Deswegen der Hinweis auf ein Buch, das voller Informationen und spannenden Gedanken zum Thema nur so strotzt: Säubern und Vernichten. Die politischen Dimensionen von Massakern und Völkermorden von Jacques Sémelin (Hamburger Edition). Besonders empfehlenswert die Kapitel über Täterprofile und die Dynamik von Gräueltaten und Exzessen.

Der stille Schüler

Gute Kriminalliteratur kann auch in serieller Ausprägung spannend über Realien erzählen. So wie der Veteran Robert B. Parker, der sich mit Der stille Schüler (Pendragon) kopfüber in eine traurige Realität - die Schulmassaker allüberall - stürzt. Mittels der Kunst des Dialogs umschiffen Parker und sein Serien-Held Spenser sämtliche Klippen eines auf aktuelle Themen fokussierten Romans. Das ist klug und macht Spaß und sitzt mitten im Leben!

Eine Geschichte von »richtigen« Menschen erzählt auch der Erstling von Marcus Sakey: Der Blutzeuge (Goldmann). Zwei junge Männer rauben eine Pfandleihe in Chicago aus. Einer erschießt dabei einen Menschen und geht in den Knast. Der andere kommt davon und macht bürgerliche Karriere. Bis der andere wieder rauskommt. Das ist nicht sehr orginell, aber plausibel und von Sakey sehr sympathisch, mit viel Bodenhaftung, mit viel gutem Lokalkolorit und erfreulich unprätentiös erzählt.

Borderlands

Ähnlich wie Brian McGilloways Borderlands (Dumont) - ein Roman, der in der politisch brisanten Grenzregion von Nordirland und der Republik Irland spielt. Ein Roman über das flache Land, wo Polizisten und Bevölkerung sich kennen, wo Familienbande seit Urzeiten bestehen, wo aber auch die Moderne, die Politik und andere unschöne Erscheinungen des Hier und Jetzt eine tragende Rolle spielen. McGilloways Roman, der den Auftakt einer Serie um den Detective Inspector Benedict Devlin bildet, kommt manchmal arg betulich daher, nur um sich blitzschnell zu drehen und zu wenden. Aus Naivität wird Tücke, aus Behaglichkeit Schock und Schreck. Fein auch, weil das Buch eine traurige, tragische, verwickelte, aber keinesfalls bloß genre-haft überhöhte Geschichte zu erzählen hat. Nach Stuart MacBride ist Brian McGilloway die neue Stimme von den Inseln, von der ich mir noch viel Gutes verspreche.

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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