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Leichenberg 08/2017

 

Der Präsident

Es ging dann doch schneller, als ich dachte: Der erste Trump-Roman ist da: Der Präsident von Sam Bourne (Bastei). Es beginnt sehr trumpig. Eines Nachts, nach einem Megakrach mit der First Lady, greift POTUS (The President of the United States) nicht zu Twitter, sondern zum roten Knopf und befiehlt den Atomschlag gegen Nordkorea (wegen einer "respektlosen" Verlautbarung) und weil er gerade so gut in Fahrt ist, gegen China gleich mit. Formal alles korrekt, aber... Naja, noch 8 Sekunden, bevor der Planet in Flammen aufgeht, dann kann ihn ein cooler Mitarbeiter stoppen. Das war knapp. So geht das nicht, finden sein machloser Stabschef Robert Krassian und Verteidigungsminister Jim Bruton und fahren heimlich zum Leibarzt des Präsidenten, um ihn als irre erklären zu lassen. Betrüblicherweise wird der Leibarzt ermordet und das lässt den beiden nur noch den Cäsarenmord als Option übrig. Aber Crassus und Brutus (die Namen sind schon arg dicke) wollen nicht selbst den Dolch anlegen, sondern beauftragen einen Profi. Dumm nur, dass es Maggie Costello gibt. Die arbeitet als Krisenmanagerin im Weißen Haus und ist von der Obama-Administration übriggeblieben. Sie hasst zwar den "bösen Mann" auch, ist aber ein anständiger Mensch und damit eine sehr rare Spezies. Und deswegen auch schon längst vom Präsidenten-Berater McNamara - so heißt Mr. Bannon im Roman - manipuliert. Der ist die lustigste Figur - ein rassistischer, sexistischer, xenophober, abstoßender und zynischer Widerling, der in hübschen Monologen die ganze wahnsinnige und brandgefährliche Trump-Philosophie nur leicht überzeichnet formuliert. Mehr als leicht überzeichnen muss Bourne auch gar nicht, der reale Wahnsinn ist eben doch uneinholbar. Natürlich ist der Roman mit der heißen Nadel gestrickt und jetzt nicht unbedingt große Literatur (eher im Gegenteil), aber doch recht vergnüglich und manchmal komisch. Und, angesichts des Endes, gar realistisch? Hoffentlich...

Hard Revolution

Penibel realistisch hingegen möchte George Pelecanos' Hard Revolution (ars vivendi) sein. Der Roman spielt zu größeren Teilen 1968, zur Zeit der Ermordung von Martin Luther King und den sich daran entzündenden Unruhen in Washington. Pelecanos rekonstruiert detailbesessen diese Zeit in all ihren alltagskulturellen Aspekten, wobei sich sein ausgeschütteter Zettelkasten von Markennamen manchmal liest wie eine gutmütige Parodie (naja, wenn Parodien gutmütig sein könnten) von "American Psycho". Der Roman stammt aus dem Jahr 2004, die Hauptfigur Derek Strange kommt auch in anderen Romanen des Washington-Chronisten Pelecanos vor. Eine der Stärken von Hard Revolution ist die Nähe zu den Figuren, die einlässlichen Porträts von sehr unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Communities außerhalb des etablierten Washingtons, die Sympathie für die "kleinen Leute", die nur in Frieden zusammenleben wollen, aber von den politischen Zeitläuften daran gehindert werden und sich ein "dennoch" abzutrotzen versuchen. Die Achillesferse(n) sind das manchmal sehr zähe Erzähltempo und die überall durchscheinende didaktische Intention, mit der verschiedene Positionen zu Gewalt und Politik ausgefaltet werden. Pelecanos will ein gerechter Autor sein, der politische Position bezieht, deswegen scheut er mit seinen schwarzen Figuren auch nicht die Gefahr des "blackfacing" (sein Kollege James Sallis hatte mit seinen Lew Griffin-Romanen über einen schwarzen Privatdetektiv ein ähnliches Problem), kann aber bei allem guten Willen zur Objektivität das Faktum nicht hintergehen, dass seine Schilderung der "Rassenunruhen" ein weißes Narrativ sind, das dazu tendiert, sie als große kriminelle Plünderungsorgie darzustellen, was sie sicher teilweise auch waren, aber die Deutungshoheit, die der Roman nun einmal unvermeidbar hat, ist nicht unproblematisch, wenn auch nicht so krass ideologisch wie in Ryan Gattis' Watts-Spektakel "In den Straßen die Wut".

Lazare und der tote Mann am Strand

Über "Deutungshoheit" könnte man bei der ganzen Welle, der zwar harmlos daherkommenden, aber letztendlich abwegigen Deutschgrimmis-besetzen-jetzt-auch-die-ganze-Welt-Welle nachdenken. Besonders die Franzosen werden gerade noch mal okkupiert - von den ganzen Bannalecs & Co., die Frankreich als großen kulinarischen und touristischen Theme-Park mit Mord entdeckt haben. Deswegen habe ich mit einigem Schrecken gesehen, dass auch der hochgeschätzte Robert Hültner mit seinem neuen Roman Lazare und der tote Mann am Strand (btb) sich im südfranzösischen Sète und in den Cevennen tummelt. Aber puuu - Hültner bleibt seinen Qualitätsstandards treu: Kein Kulinarika, kein folkloristischer Fidelwipp und keine ulkig-knarzigen Franzosen und olalala-Französinnen. Stattdessen entwickelt sich der Roman von einem anscheinend routinierten Whodunit zu einem ziemlich giftigen Buch über die französisch-deutschen Verhältnisse, von der wirklichen, blutig ernsten Besatzungszeit bis zum sehr heutigen NSU und der rechten "Internationalen", inklusive der Geheimdienste und der Kollaboration von Wirtschaft und Front National, ein enges Geflecht über die Ländergrenzen hinweg. Nüchtern und präzise erzählt und ohne Schielen auf "Identifikationswerte" der Figuren (sowieso eine lästige Geißel der derzeitigen gefühligen Rezeptionshaltung Literatur gegenüber).

Die Treibjagd

Nochmal ein anderes Kaliber ist Antonin Varenne. Die Treibjad (Penguin) ist sein drittes, auf Deutsch erschienenes Buch (und im Vergleich zu dem Genrehybrid "Die sieben Leben des Arthur Bowman") ein böser Kriminalroman sui generis. Ein giftiges Buch aus dem Massif Central, in der Tradition von Jean-Patrick Manchette und Pierre Magnan. Allein die Schilderung des ökonomischen Niedergangs der fiktiven Stadt "R" und den damit eingehgehenden sozialen und psychologischen Verwerfungen ist ein stilistisches Glanzstück (von Susanne Röckel bestens übersetzt). Die Erzählstruktur, zeitlich originell um ein paar Kernereignisse gruppiert, ist ebenso spannend wie die Story und die Figuren. Im Grunde ist der Roman eine Romeo-und-Julia-auf-dem-Lande-Paraphrase - ein Außenseiter, der durch einen Unfall an Leib und Seele verletzte Jäger namens Rémi Parrot ist mit der Tochter des Clan-Chefs der Messenets in Liebe verbunden. Die Messenets wiederum sind wiederum einer der beiden herrschenden Familien in der Gegend, ein dritter Clan besteht aus Roma. Mit um die abnehmenden Ressourcen des Departements zanken sich Inverstoren, Gewerkschafter und Naturschützer, die Polizei kann nur beobachten. Dann eskalieren die Dinge während einer Treibjagd auf Wildschweine, die für die lokalen Honoratioren veranstaltet wird. Die raue, wunderschöne, aber gefährdete und schon verwundete und geschundene Natur spielt eine große Rolle in dem Buch, sie schreibt sich in die harten, kantigen Figuren ein, die in der Gegend leben wollen oder müssen. Die profitgeile Ausbeutung der Landschaft richtet Verheerungen in den Seelen der Menschen an, es gibt keine geschützten Residuen mehr. Das ist brutal, und so kann das Buch auf sensationalistische Thrills verzichten, die Story und ihre Inszenierung sind hart genug. Grandios.

Das Zeitalter des Zorns

Noch ein bisschen notwendige Theorie. Pankaj Mishra: Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart (S. Fischer). Mishra, global renommierter Philosoph, Essayist und Romancier, geht den gewaltgenierenden Ressentiments, die unser Hier und Heute bestimmen, auf den geistes- und kulturgeschichtlichen Grund. Ausgehend von Gabriele D'Annunzios Fiume-Abenteuer 1919 spürt er den Wurzeln und Quellen von Fanatismus, Ultranationalismus, Totalitarismus, Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Tyrannei, Rückbau von demokratischen Strukturen, Populismus und deren jeweiliger Gewaltbereitschaft nach. Das geht bis weit ins 18. Jahrhundert zurück (Stichwort: Rousseau) und bezieht vor allem auch die Interdependenzen von europäisch/westlichem und eben nicht-westlichem Denken nach. Die ungeheure Spannweite seines Wissens macht einfache Lösungen sowieso unmöglich wie die manische Fokussierung des "Gewaltproblems" auf den Islam. Schmeichelhaft ist sein Ansatz für alle nicht, weil er grundsätzlich die pragmatischen, bösen Folgen avancierten Denkens für die Milliarden von Menschen reflektiert, für die solche Konzepte (und seien sie noch so benevolent, ihre Gegenbildlichkeit ist meistens abscheulich) vor allem mangels eines sinnvollen materiellen Unterbaus und der faktischen Machtverhältnisse auf diesem Planeten nicht funktionieren. Ein großer Wurf, der alle aktuellen Gewaltdebatten unterfüttern sollte und mithin eben auch Kriminalliteratur, die allzu oft nur deren kulinarischer Wurmfortsatz ist.

 

© Thomas Wörtche, 2017

 

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