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Leichenberg 07/2017

 

Corruption

Irgendwie ist Don Winslow schon ein Phänomen. Seine Reputation hatte er sich mit »Tage der Toten« erschrieben, mit »Zeit des Zorns« und »Kings of Cool« noch zwei erfreuliche Spin-Offs aus demselben Themenkreis (Drogen, Südkalifornien/Mexiko) nachgeschoben und mit »Frankie Machine« einen richtig schönen Mafia-Roman vorgelegt. Dann kam der tiefe Fall - das zum "Epos" aufgeplusterte Landserheftchen »Vergeltung«, das unfreiwillig komische, aber deprimierend schlechte »Germany«, das verhaute und verbaute »Kartell«. Jetzt aber, aber jetzt, raunte es, ist er wieder voll da - mit Corruption (Droemer). Der Absturz scheint gestoppt, aber leider nur, weil Winslow aufgeschlagen ist. Stimmt, »Corruption« ist keine Katastrophe mehr - es ist nur ein völlig belangloses Buch.
      Die "Manhattan North Special Task Force" ist die härteste Truppe im New York Police Department und Detective Sergeant Denny Malone ist der Härteste der Harten. Er ist, wie alle seine Kollegen, aber auch ein "dirty cop". Er nimmt Geld von der Mafia, steckt unter einer Decke mit schmierigen Anwälten, hat Arrangements mit den Drogenlords seines Bezirks und hat schon eine beträchtliche Summe Geld beiseite geschafft. Dafür räumt die Task Force sehr robust auf - mit Kleinkriminellen, "normalen" Dieben und Mördern, mit Durchgeknallten und solchen, die sich nicht an die Regeln der Straße halten. Weil das Einsatzgebiet von Malones Leuten auch Harlem ist, kommt es des Öfteren zu "rassistischen" Zwischenfällen, die zur aktuellen Anschließbarkeit des Romans dienen (Stichwort: "Black Life matters"). Die wichtigste Tugend der Cops ist der Corps-Geist, sie sind eine "Band of Brothers", die für sich gegenseitig durchs Feuer gehen und sich normalerweise auch opfern würden, wie es in schwitzigen Männerbünden (Klaus Theweleit hat 1977 in »Männerphantasien« dazu das Nötige gesagt, auch das steinzeitliches Frauenbild des Romans entspricht dessen Befunden) nun mal üblich sein soll.
      Malone erschießt aus persönlichen Gründen eine Großdealer, was einen Bandenkrieg provoziert und gleichzeitig die Politik auf den Plan ruft, die - wie alle paar Jahre - gerade eine "saubere" Polizei auf der Agenda hat. Malone gerät unter Druck und muss sie alle verraten: Seine Polizei-Kumpels, seine Geschäftspartner. Alle sind sie hinter ihm her, die Kollegen, die Dienstaufsicht, die Staatsanwaltschaft, das FBI und die Gangs. Er will heroisch alle beschützen, die ihm lieb und teuer sind. Aber er muss lernen, dass er zwar ein "dirty cop" ist, aber alle die, die ihn hetzen, noch viel schlimmer sind. Alle sind interessengeleitet, alle sind korrupt, alle nur auf ihren Vorteil aus, den hehren Grundsätzen (die nur politische Rhetorik sind) zum Trotz. Eingepackt ist das Ganze in eine Art Stadtführer von Manhattan ("Und hier sehen Sie das Apollo-Theater") aus dem Zettelkasten, elend langen Diskursen, gerne auch in Dialogen, in denen sich die Figuren Fakten erzählen, die zur Information der Leser dienen und zu sonst gar nichts - über weite Strecken ist »Corruption« ein Sachbuch mit didaktischer Handlung minus jeder Art von Literarizität, worüber auch ein paar clever Action Sequenzen nicht wirklich hinweghelfen. Die Lektüre von »Corruption« ist eine Art Dauer-Déjà-vu - man hat alles schon mal gelesen, man hört das Generierungsmaschinchen ticken: die Echos von Joseph Wambaugh, was die oft bizarren Straßenepisoden betrifft, von Bob Leuci, dessen Polizeiromane thematisch ähnlich gelagert sind, von Jerome Charyn, für den die Verflechtungen von Polizei, Organisierter Kriminalität und Politik, zu den selbstverständlichen Konstellationen des Big Apple gehören, von James Ellroy, von Jerry Oster und von anderen einschlägigen Narrativen mehr. Ein "Best of..." aller ernstzunehmenden Cop-Novels der letzten drei, vier Jahrzehnte, sozusagen. Aber ohne die ästhetische Anstrengung, daraus Literatur zu machen - wie es zum Beispiel Peter Temple und die oben genannten Autoren vorgeführt haben. Dass alle und alles korrupt und verdorben ist, dieser nicht sehr originelle Befund ist, ohne dass Winslow daraus irgendwelche kreative Funken schlagen könnte, eben belanglos. Wird aber sicher ein schöner Film.

Der Freund der Toten

Das krasse Gegenprogramm ist Der Freund der Toten von Jess Kidd (DuMont). Ein luftiger, gar zauberhafter Roman aus Irland, ein charmanter Whodunit mit dem originellen Dreh, dass die Toten eine gewichtige Rolle spielen. Denn der Held, der 1976 in das Bilderbuchdörfchen Mulderridge kommt, um herauszufinden, wer vor langer Zeit seine Mutter getötet und wer sein Vater ist, kann mit den Toten reden. Für ihn sind sie Teil des Alltags, immer dabei im Dorfleben, nie bedrohlich oder beängstigend, eher eine Bereicherung des ohnehin schon originellen Dorfbewohnerensembles. Das wiederum erinnert ein bisschen an das Personal von Patrick McGinleys "Bogmail", so wie es auch bei Kidd um das leicht verklärte irische Dorfleben zwischen Tradition und Moderne geht, um Außenseiter und Käuze und um autonomes Leben. Und um das Erzählen, um Lyrik und Religion, ganz wie man es gerne hat. Eine Dorfgeschichte, federleicht und sowas von sympathisch.

Alles so hell da vorn

Aus deutschen Provinzen kommt so etwas eher selten, ihnen haftet letztendlich etwas Dumpfes und Beengendes an. Die Pfalz macht da keine Ausnahme, aber immerhin bemüht sich Monika Geier mit ihren Romanen um die Kommissarin Bettina Boll, einen kreativen Umgang mit den Verhältnissen, die nun mal sind, wie sie sind. Deswegen sollte man den Umstand, dass sie mit ihrem neuesten Band der Serie Alles so hell da vorn (Ariadne) auf Platz 1 der Krimi-Bestenliste von FAS und Deutschland gelandet ist, als Würdigung ihres bisherigen Gesamtwerks verstehen. Im neuen Buch geht es um (Kinder-) Zwangsprostitution, die Verwicklung von Polizei und Geheimdiensten in die OK, um engherzige und tapfere Menschen, um "deutsche Verhältnisse", um Frauen im Beruf, um Solidarität und Verrat. Ganz starke Szenen widmet Geier dem Behördenalltag in der Provinz - großartig, Bettina Boll im Handgemenge mit Kolleginnen aus der Hinterpfalz -, während die eher polit-thriller-artigen Sequenzen seltsam unklar und umständlich rüberkommen. Und da ist dann noch das Privatleben mit Kindern und einer Leiche im Brunnen des geerbten Hauses, was wesentlich zum human factor des Romans beiträgt und in der Leserschaft sicher einen hohen Identifikationsquotienten schafft.

So kam die Nacht

Nach Sophie Hénaff kommt mit Estelle Surbranche noch eine neue, bemerkenswerte Autorin aus Frankreich auf unseren Markt: So kam die Nacht (Polar Verlag). Surbranche hat keine Probleme mit Schlachteplatte und eimerweise Blut - und das ist so gut so. Die Story ist lobenswert grimmig und konsequent durchgezogen, zudem mit einem hübschen Cliffhanger zum nächsten Buch. Eine kriegstraumatisierte Killerin der serbischen Mafia metzelt sich sehr sportlich von Biarritz nach Paris, sie folgt der Spur eines verlorenen gegangenen Drogentransports, den sich zwei surfende Bürgersöhnchen unter den Nagel gerissen haben und jetzt auf dicke Hose machen. Ihr auf den Fersen ist Capitaine Gabrielle Levasseur, nicht gerade eine Bilderbuchpolizistin - zwei Frauen inmitten einer Herde von winselnden Weicheiern, hohlen Machos und fiesen Gangsterichen. Glücklicherweise kein bisschen Diskurs, der Roman ist ein Musterbeispiel von action driven, Momente des Privaten dienen höchstens mal als Verschnaufpause. Und einen subversiven Hauch des Trashigen hat das Ganze auch noch. Mehr davon.

Der Schlüssel

Ein unumstrittener Klassiker der japanischen Literatur ist Der Schlüssel von Junichiro Tanizaki (Cass Verlag). Das Buch schrammte 1956 knapp an einer Indizierung wg. Pornografie vorbei, war auch bei uns stets präsent, allerdings in einer Übersetzung, die die Japaner nicht Taxi, sondern Rikscha (!!!) fahren ließ und die expliziten Sexszenen wegpuschelte, verlangte also dringend nach einer Neuübersetzung - voilà. Sichtbar wird dabei, dass Der Schlüssel eine Art Parallelaktion zum aufkommenden Psycho-Thriller à la Patricia Highsmith oder Margret Millar war. Die Geschichte eines sich bis aufs Messer bekämpfenden Ehepaares, das nicht direkt, sondern nur über angeblich versehentlich lesbare Tagebücher kommuniziert und sich gegenseitig zu Nutz und Frommen der jeweils eigenen Obsession funktionalisiert, wobei sich eine Art Umkehr der traditionellen Geschlechterrollen bis zum finalen Sieg der weiblichen Position ergibt, thematisiert die Klein-Familie als Ort der subtilen, aber dennoch massiven Gewalt. In Japan hat Masako Togawa, deren Erstling nicht umsonst »Der Hauptschlüssel« hieß, diese Tradition weitergeschrieben, der Diskurs hingegen ist alles andere als historisch, sondern brandaktuell. Als elegant-raffinierte Zimmerschlacht ist »Der Schlüssel« immer noch mit großem Vergnügen zu lesen.

 

© Thomas Wörtche, 2017

 

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