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Leichenberg 09/2004

 

Kleine Infamien Leichte Lektüre muss nicht blöde sein. Das wissen wir zwar schon immer, aber zuviel Blödes wird uns in letzter Zeit unter dem Etikett »leicht« feilgeboten. Deswegen freut man sich um so mehr, wenn man einen leichten Roman entdeckt, der auch noch intelligent ist. Sehr intelligent sogar. Die Rede ist von Carmen Posadas' Kleinen Infamien (Suhrkamp). Ein klassisches Whodunnit-Set bestehend aus Landhaus, hier an der Costa del Sol, hochverdächtigen Gastgebern mit düsteren Geheimnissen und noch düsterer Vergangenheit, exzentrische bis bizarre Wochenendgäste, schräges Personal und einer Leiche in der Tiefkühlkammer. Alle Hauptpersonen haben ein Motiv - wer war's? Die uruguayische Autorin Posadas zeigt uns, was man aus so einer Standardsituation alles machen kann. Mit Witz, Eleganz, Spott, Derbheiten, Subtilitäten, Nuancierungen, Schattierungen. Mit falschen Fährten, liebevoll gezeichneten Nebenfiguren, wohldosierten Giftbeimischungen und überhaupt mit einer, auch in der Übersetzung von Thomas Brovot sehr geschmeidigen Prosa. Und für die Auflösung braucht sie nicht einmal einen Detektiv. So virtuos gehandhabt erscheint nicht die Form Whodunnit als altbacken und überflüssig, sondern ihre quälende Handhabung in dumpfer Prosa, die uns dieses Subgenre seit Agatha Christies Zeiten immer wieder verleidet. Dabei muss »Kleine Infamien« noch nicht mal das Superduperoberhammer-Meisterwerk sein, es kann als besagte leichte Sommerlektüre ohne Schamesröte weggelesen werden.

Der Spitzel von Waterloo Ein eher ambitioniertes Werk kommt von Julian Rathbone: Der Spitzel von Waterloo (Europa), dessen Originatitel A Very English Agent angesichts Rathbones bekanntermassen skeptischer Einstellung seiner Nation gegenüber plausibler erscheint. Rathbone zeichnet ein Breitleinwand-Panorama der grossen Klassenkämpfe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im UK, durch die der agent provocateur Charles Boylan als aktiver Cicerone führt. Boylan ist eine Matzerath'sche Figur, kleinwüchsig, undurchschaubar, verlogen, fantasiebegabt und pelzig. Er ist ein Vorfahr von James Bond - seine Nummer als Agent mit der Lizenz zum Töten ist 003 -, und er hat alle einschlägigen Figuren der Zeit gekannt: Percy Bysshe Shelley, Mary Shelly, Wellington, Karl Marx und so weiter und so fort. Er hat auch an manchem Schicksal gedreht und nebenbei Blücher in der Schlacht von Waterloo im entscheidenden Moment an die richtige Stelle geführt. Was natürlich historischer Unfug ist, aber ein schöner Gag. Und solche schönen Einfälle fügt Rathbone mit manchmal raffinierten, manchmal grobianistischen Mitteln zu einem Thesaurus von Andekdoten, Anspielungen und Zitaten zusammen, die - o Wunder bei soviel kulturgeschichtlichem Overkill - am Ende doch einen herrlich ironischen, spöttischen und fesselnden Roman ergeben.

Der Film Noir Prächtig auch der von Alain Silver und James Ursini veranstaltete Bildband Der Film Noir (Taschen). Wichtig und lobenswert dabei ist, dass nicht zum x-ten Mal die Geschichten und Themen des noir im Mittelpunkt stehen, sondern dass anhand von Filmfotos über die ästhetischen Grundlagen geredet wird. Das Was und das Wie werden in ihrer gegenseitigen Bedingtheit diskutiert, eine Übung, die im ewigen Plappern und Schnattern über Filme - zunehmend auch über Bücher - völlig aus der Optik gerutscht ist. Eine schlichte Bildbeschreibung kann rasend spannend sein, auch wenn sie manchmal übers Ziel hinausschiesst. Wir empfehlen analog die Textbeschreibung.

Und für alle FreundInnen fragwürdiger Römer-Krimis (und damit aller historischen Durchschnittsschwarten) empfehlen wir dringend die Kriminalgeschichte der Antike von Jens-Uwe Krause (C.H.Beck), die zudem als Subtext noch darüber nachdenkt, wie Gesellschaften grosser Dichte (und das was das Imperium Romanum nunmal) auch ohne polizeistaatliche Anwandlungen nicht in Chaos und Verbrechen versunken sind.
Kategoriale historische Unterschiede allerdings sind mitzudenken. Aber das macht die Sache so interessant.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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