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Leichenberg 09/2013

 

Das Böse im Blut

Die Schnittflächen und Gemeinsamkeiten von crime fiction und Western sind erheblich - kein Zufall, dass große Autoren wie Elmore Leonard, Robert B. Parker, Loren D. Estleman oder Cormac McCarthy sich auf beiden Seiten dessen herumgetrieben haben, was nur eine Medaille ist. Ganz besonders roman-noir-haft geht schon seit Jahrzehnten James Carlos Blake mit den Mythen der Populärkultur, die schon immer Western und Crime in den Pulps zusammengedacht hat, um. Endlich gibt es auch bei uns einen wichtigen Roman von Blake zu erwerben: Das Böse im Blut (Liebeskind). Blake nutzt die ganze Wucht, die aus den synthetisierten Energien der verschiedenen Typen und Genres Western, Gangster- und Abenteuerroman, Reisebericht, littérature engagée, Kolportage, Thriller und sozialkritischem Gesellschaftsroman entstehen kann, um nicht nur die populären Mythen anzugreifen, sondern die Grundlagen der us-amerikanischen und damit der (früh-)kapitalistischen Gesellschafts- resp. "Weltordnung". Das hört sich fatal theoretisch an, ist aber als Roman grandios gelungen. Die Geschichte zweier Brüder, die zu einem Trip durch den "Wilden Westen" der 1840er Jahre aufbrechen und im Amerikanisch-Mexikanischen Krieg auf feindlichen Seiten landen, ist ein Höllentrip durch eine atavistische Landschaft, in der nur das Recht des Stärkeren gilt. Eine brutale Reihe historisch penibel belegter Grausamkeiten, Barbareien und Usancen des Tötens, Lynchens, Vergewaltigen und Ausrottens - die immer auch auf die amerikanischen Sündenfälle der Neuzeit seit Vietnam verweisen - machen den Roman zu einer intensiven tour de force durch eine gewaltbasierte Kultur. Und zeigt nebenbei Leuten, die immer "Anti-Amerikanismus" schreien, dass die Amis die schärfsten Kritiker ihrer selbst sind. James Carlos Blake gehört zu den allerschärfsten.

"Ladies and Gentlemen, das ist ein Überfall". Die Geschichte von Bonnie & Clyde

Nur ein paar Jahrzehnte später, in den Zeiten der Great Depression, als in den 1930er Millionen Menschen vor allem im Mittleren Westen ihr Hab und Gut an die Banken verloren und die große Wirtschafts- und Sozialkrise von Roosevelts New Deal noch nichts ahnen ließen, entstand der Mythos von Bonnie & Clyde, den Michaela Karl in einer brillanten Studie auf den Boden der Tatsachen stellt: "Ladies and Gentlemen, das ist ein Überfall". Die Geschichte von Bonnie & Clyde (Residenz). Karl betreibt materialistische Kulturgeschichtsschreibung im besten Sinn - sie zeigt, wie ein übergeschnapptes System Kriminalität erzeugt, wie bestimmte Arten von Kriminellen zu Staatsfeinden werden und wie Medien Stimmungen machen. Bonnie Parker und Clyde Barrow sind nicht die live fast, die young-Helden aus Arthur Penns berühmtem Film, der als Schlüsselwerk von New Hollywood heute noch nachwirkt. Der Mittlere Westen, den Karl sozial- und wirtschaftsgeschichtlich präzise schildert, basiert noch wie Blakes Westen, vornehmlich auf Gewalt und Barbarei, zum Beispiel im Umgang mit Strafgefangenen und verarmten Kleinkriminellen. Bonnie & Clyde, so wir sie hier erleben, waren alles andere als kompetente Gangster. Viele ihrer Unternehmungen gerieten aus Dummheit, Nervosität oder Panik völlig daneben oder zum Blutbad. Auch von den ritterlichen Sozialbanditen, zu denen sie stilisiert wurden, bleibt nur wenig übrig. Bis auf die Tatsache, dass sie keine "bösen" Menschen waren, sondern versuchten, irgendwie aufrecht durch böse Zeiten zu kommen. Mit fatalen Folgen und dem Lohn der Unsterblichkeit. Ein blendendes, ungemein materialreiches Buch!

Krieg der Bastarde

Vom Wahnsinn unserer Zeit handelt Ana Paula Maias Roman Krieg der Bastarde (A1 Verlag). Eine Art brazilian pulp fiction, gewidmet "Den Verkommenen, Maßlosen und Abtrünnigen". Es geht um Kokain, Pornofilme, Geld, Hitze und ums Überleben. Slapstick und Groteske, Komik und schön geschmacklose Geschmacklosigkeiten plus äußerst robuster Umgang mit Tod und Gewalt, dazu ein ganzes Feuerwerk an Querverweisen und Anspielungen ergeben ein extrem lustiges, groovendes Buch. Samba noir, möchte man fast sagen.

"Ladies and Gentlemen, das ist ein Überfall". Die Geschichte von Bonnie & Clyde

Eher düster ein zweites Buch aus Brasilien - wir freuen uns, dass die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr Brasilien zu Gast hat, was zumindest ein paar Bücher in den Fokus rücken wird, die sonst auf dem von formula fiction gepeinigten Markt keine Chance gehabt hätten -: Bernardo Kucinski: K. oder Die Verschwundene Tochter (:transit). Brasilien war für viele Juden während des Nationalsozialismus lebensrettendes Exil mit Zukunftsversprechen. Umso schlimmer, als sie während der Militärdiktatur von 1964 -1985 die Tyrannis wieder einholte, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Kuzinskis Roman präpariert wütend die totalitären Analogien heraus, die Europa und Südamerika verbinden - den miesen Zusammenhang von Macht, Misogynie, Folter und Unterdrückung. Eine Art sehr schwarzer Polit-Thriller.

Ein gewaltiger Bild-Stifter war der in Paris lebende Fotograf mit ungarischen Wurzeln: Brassaï. Er hat nicht nur das nächtliche Paris der 1930er Jahre fotografiert, sondern mit diesen Fotos bis heute eine gewisse noir-Atmosphäre geschaffen, die uns immer noch fasziniert und einleuchtet. Wie finden sie in den Filmen von Robert Aldrich und Samuel Fuller, bei Louis Malle und Jean-Pierre Melville, und heute wieder in der Retro-Noir-Welle. Sylvie Aubenas und Quentin Bajac haben alle einschlägigen Nachtfotos von Brassaï in einem Band versammelt und sehr kompetent kommentiert: Brassaï. Flaneur durch das nächtliche Paris(Schirmer/Mosel). Teuer (68.-€), aber eine Anschaffung fürs Leben.

 

© Thomas Wörtche, 2013

 

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