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Leichenberg 09/2014

 

Gangland

Gangster als tragische Helden - das gehört noch nicht einmal mehr zu den Mythen des Alltags, sondern zu der eher lustigen Denkfigur, dass "Gesellschaft" und "Organisierte Kriminalität" etwas kategorial Verschiedenes seien. Dashiell Hammett hat mit seinem Roman »Red Harvest« (1929) diesen Aspekt in die Kriminalliteratur eingeführt, bei Jerome Charyn, einem zentralen Gegenwartsautor unserer Zeit, ist diese Erkenntnis Zentrum seiner bisher elfbändigen Saga um den Cop Isaac Sidel aus der Bronx, der es als guter Mensch, Mafioso und Mörder zum Präsidenten der USA bringt. Für englische Verhältnisse modifiziert folgen Howard Linskeys Romane um ein kleines, nettes Familienunternehmen in Newcastle-upon-Tyne diesem Modell unserer heutigen Gesellschaft. Gerade ist der 2. Band der Saga erschienen: Gangland (Knaur), der erzählt, wie es David Blake und seiner Crew weiter ergeht. Im ersten Band, Crime Machine musste Blake, der eigentlich als consigliere des alten Bosses nichts mit den eher robusteren Geschäftspraktiken zu tun hatte, den Laden übernehmen. Wie und wieso möchten Sie bitte dort selbst nachlesen. In Band 2 der Unternehmenschronik geht es um die Konkurrenz - denn im benachbarten schottischen Edinburgh ist die lokale Verbrechensstruktur wegen Todesfall des Chefs implodiert. Es herrscht ein Machtvakuum, Diadochenkämpfe und dumpfe Gewaltakte stören den Stadtfrieden, die Politik und Polizei suchen zusammen mit den einschlägigen "Firmen" der Umgebung händeringend nach einer stabilisierenden Lösung, die unsere Jungs und die Konkurrenz aus Glasgow an den Verhandlungstisch zwingt. Denn nichts stört das gedeihliche Profitleben mehr als zügellose Gewalt. Um die zu dämpfen und alle Beteiligten zufrieden zu stellen, ist manchmal extreme Gewalt nötig. Linskey erzählt diese Geschichte schön lakonisch und cool, mit klarem Blick auf die Verhältnisse und ohne auf das eh lächerliche Mantra zu hören, demzufolge sich Verbrechen nicht lohnt. Wir warten gespannt auf Teil 3...

Ein Bulle im Zug

Sehr schön radikal auch Franz Doblers Ein Bulle im Zug (Tropen/Klett-Cotta). Ein Bulle erschießt einen siebzehnjährigen libanesischen Kleingangster, bevor der ihn erschießen kann. Dummerweise ist die Waffe des Strolchs verschwunden, was das Ermittlungsverfahren gegen den Helden Fallner nicht gerade lustig macht. Bewaffnet mit einer Bahncard100 reist Fallner kreuz und quer in Zügen durch die Republik und öfters gesellt sich sein "Opfer" Maarouf zu ihm. Maarouf wohnt zwar noch nicht im Kopf von Fallner (wie Hamish, der von DI Ian Rutledge im Ersten Weltkrieg hingerichtete Sergeant, der fortan in Rutledge haust und mit ihm spricht - wir erinnern bei dieser Gelegenheit an die großartigen Romane von Charles Todd), gehört aber zu Fallners verschiedenen Dauerobsessionen, über die er während seiner endlosen Zugreisen meditiert. Wobei Meditation hier eher im Sinne des cartesianischen Zweifels gemeint ist als fernöstlich. Dobler hat unfassbare gute Augen und Ohren für den Irrwitz, die furchtbare Komik und den Wahnsinn nicht nur des gesellschaftlichen Pandämoniums, das in Zügen unterwegs ist - deswegen gehört »Ein Bulle im Zug« zu den Klassikern der Zugreiseliteratur von Patricia Highsmith bis H.R.F. Keating. Dobler erlauscht, kommentiert, parodiert, persifliert den ideologischen Müll, die gesundbetenden Phrasen und Einstellungen, die unseren Alltag so unerquicklich machen. Seine Mini-Porträts ganz "normaler" Zeitgenossen - von Barflies bis Bankiers, die sich Banker nennen, sind kleine, oft sehr komische, bissige und biestige Meisterwerke und seine Hausgötter - die Jazzgiganten Lee Morgan (der viel mit der Handlung zu tun hat), Johnny Griffin und Billie Holiday, der amerikanische Noir-Autor Jim Thompson et al - sind erlesen gut. Ach, das Wichtigste wollen wir nicht vergessen: »Ein Bulle im Zug« ist ein kompletter, richtig guter Kriminalroman.

Affentheater

Ein richtig guter, solider Kriminalroman ist auch Affentheater von Carl Hiaasen (Manhattan). Es ist schon erstaunlich - wenn Hiaasen nicht in die Klamaukkiste greift (was er unübertroffen konnte und kann), sondern eher ruhig und bedächtig eine weitere spannende Geschichte über gierige Menschen und die Umstände, die Gier produzieren, schreibt, dann sind die schlichteren Teile seines Fandoms düpiert. Das aber ist ungerecht, denn die netten, kleinen ganz realen Geschichten aus dem richtigen Leben sind ganz furchtbar komisch (hier die Erlebnisse eines Hygieneinspektors in der Gastronomie Floridas). Hiaasen erweitert seinen Aktionsradius in diesem Buch über Miami und die Keys hinaus auf die Bahamas und andere Inselchen, auf denen der Immobilienwahn alles zerstört. Unspektakulär und gut.

Der Schwimmer

Wacker und solide ist Der Schwimmer von Joakim Zander (Rowohlt Polaris), ein schwedischer Polit-Thriller, der nicht skandinavisch hausbacken ist, sondern gleich in der internationalen Liga (Olen Steinhauer, Jenny Siler etc.) mitspielen möchte. Gute Story über die Macht und Gewalt, die privatisierte Geheimdienstarbeit über Menschen ausübt, über verantwortungslosen Umgang mit human resources, mit der Rückkehr der Sadisten (nicht nur beim IS), über das totale Wertevakuum politischen Handelns... Leider haut Zander zu sehr auf die Action-Pauke, was dann bald langweilig wird. Und wie der Plot läuft, ach ja, da sieht man auch schon sehr früh... »Der Schwimmer« ist ein Erstling, den Autor behalten wir im Auge.

Klassiker des Monats - deutlich Rotbuchs Neuausgabe von Ulf Miehes Lilli Berlin. Ein Noir aus einer Zeit, als es noch zwei Deutschlands gab, und einer der wenigen Kriminalromane, die damals (1981) mit diesem Thema wirklich etwas anfangen konnten und die zudem noch literarisch eigenwillig und exzellent waren. Klar, Ulf Miehe (1940 - 1989) ist, trotz seines schmalen Œuvres, der interessanteste deutsche Noir-Autor überhaupt.

Sachbuch des Monats - De Sade oder die Vermessung des Bösen. Die neue De Sade-Biographie von Volker Reinhardt (C.H. Beck), die mehr als eine Biographie ist - oder vielmehr eine perfekte Biographie, die zeigt, warum der gute Marquis einer der wichtigsten Köpfe der Moderne ist und warum unsere Auseinandersetzung mit ihm noch lange nicht erschöpft sein kann. Ein Must für alle, die sich mit den Wurzeln und Grundlagen unseres Genres befassen.

 

© Thomas Wörtche, 2014

 

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