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Leichenberg 11/2002

 

Am 19. Dezember wäre Jean-Patrick Manchette sechzig Jahre alt geworden, wenn er nicht 1995 gestorben wäre. Sein Einfluss auf den französischen Kriminalroman war gigantisch - heisst es. Aber bei allem Respekt seiner Kollegen und Kolleginnen ist dieser Einfluss wohl eher inspirierender Natur geblieben. Manchette hat den Néo-Polar (auch so'n Schlagwort) nicht erfunden. Er hat nur den Kriminalroman politisiert, sprachlich radikalisiert und karnevalisiert. Alain Delon hat aus seinen Drehbüchern manchmal peinliche Filme gemacht, Chabrol hat seinen Roman »Nada« (Distel) auch nicht richtig verstanden und am Ende war Manchette ein grosser Melancholiker. Zwei schöne, neue Ausgaben Tödliche Luftschlösser und Westküstenblues (beide bei Distel) sind gerade rechtzeitig zu seinem Todestag erschienen. Ein erschreckend hoher Prozentsatz der heutigen Krimi-Produktion ist an ihm gemessen von erschreckender Regression.

GourmetCrime heisst eine neue Reihe mit schmalen Texten auf dem oft schmerzlich vermissten Formatgrat zwischen Roman und Erzählung, die Jürgen Alberts fortan im Europa-Verlag herausgibt, strictly international. Die Befürchtung, die Reihe setze sich auf den neckischen Kochen & Killen-Trend nur drauf, erweist sich angesichts der ersten beiden Bände als unnötig: Janwillem van de Wetering mit Die entartete Seezunge und Andreu Martín mit Schnecken mit Kaninchen eröffnen die Reihe mit jeweils bärenstarken Texten - einem sehr unbehaglichen Kapitel der holländischen Geschichte (Stichwort: Besetzung und Widerstand) von van de Wetering und einer komisch-eisigen und extrem giftigen Geschichte einer unfreiwilligen Karriere von Andreu Martín. Guten Appetit!

Wollüstig opulent hingegen ist ein grossformatiger Prachtband über den Liebling aller Design-Fans - James Bond. Mode, Architektur, HighTech, schöne Menschen und grausame Tode, kurz Glamour satt für glamouröse 65 Euro zum auf den Wohnzimmertisch legen und drin blättern: James Bond. Die Legende von 007 von John Cork und Bruce Scivally (Scherz). So macht man Fan-Bücher und schliesslich ist ja bald Weihnachten.

Ganz das Gegenteil von opulent ist das Soho der 30er Jahre, das Gerald Kersh erzählt. Nachts in der Stadt (PulpMaster) heisst sein fast vergessenes London-Epos aus dem Jahr 1938, das es jetzt endlich auf deutsch zu lesen gibt. Eine Art Ein Mann will nach oben, kriminalliterarisch gewendet, von einem heimlichen Klassiker des Genres, der für die britische Tradition des noir unendlich wichtig ist. Der Weg ging nach Kersh weiter über Ted Lewis zu Derek Raymond ....

Und noch ein Klassiker: Brennt Paris? von dem später hemmungslos kolportierenden Autoren-Duo Larry Collins/Dominique Lapierre. Das Buch ist natürlich keinesfalls von 1993, wie das Impressum der Ullstein-Ausgabe nahelegt, sondern von 1964. Damals war True Crime noch nicht der grosse Knaller - und True Polit Thriller erst recht nicht. Insofern schon eine Pioniertat, wenn auch historisch ein wenig wacklig. Aber schliesslich haben die Nazis Paris dann doch nicht in Schutt und Asche gelegt.

Auch bevor Jeffrey Deaver mit seinem Duo Lincoln Rhyme und Amelia Sachs Bestseller produzierte, hat er schon gute Bücher geschrieben. Vielleicht sogar die besseren: Manhattan Beat (Rotbuch) ist so eines. Es geht um ein kleines Punk-Gör, das ein paar sehr, sehr miesen Gestalten in die Quere kommt und sich ihrer Haut wehren muss. Hochspannend, schnell und clever gestrickt.

Bleibt noch für die spätherbstliche Depression, auf ein morbides Spektakel aus Finnland hinzuweisen: Arto Paasilinnas fröhliches Loblied auf untalentierte Selbstmörder: Der wunderbare Massenselbstmord (Edition Lübbe). So macht Suizid richtig Spass.

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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