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Leichenberg 11/2006

 

Der vierte Mörder Ist das Verbrechen nur noch als psychiatrische Veranstaltung erzählbar? Auf diesen Gedanken könnte man kommen, wenn man gleich zwei deutsche Polizeiromane hintereinander liest, die verblüffende Ähnlichkeiten in der Konzeption haben. Da ist einmal Der vierte Mörder (Droemer) von Thomas Kastura. Er spielt ein zunächst plausibles Szenario durch: Was passiert, wenn eine Terror-Lage - eine Anschlagserie auf die Kölner U-Bahn - nicht von dafür zuständigen Terroristen ausgelöst wird, sondern von einem Einzeltäter, mit absolut bekloppten Motiven? Und wenn das dann auch noch von einer ganz anderen Verbrechensserie überlagert wird, die wiederum eine eigene Motivlage, aber zufällige personelle Überschneidungen mit dem ersten Szenario hat? Dann hört sich das Ganze so reißbretthaft und papiern konstruiert an wie es tatsächlich ist. Die Polizei behindert sich selbst - Kompetenzgerangel, undichte Stellen, Karrierismus und so weiter. Das beschreibt Kastura sehr gelungen, hier liegen die Stärken seines Romans. Die er dann allerdings mit Schiller-Zitaten und was sonst noch nicht niet- und nagelfest an Bildungsgut in Büchmanns Zitatenlexikon herumliegt, selbst wieder relativiert.

Hunger Ähnlich Jacqueline Ohnholds Hunger (Ariadne). Die Arbeit einer total zerstrittenen und teilweise schlicht inkompetenten Mordkommission ist relativ gut (wenn auch nicht wirklich gut) recherchiert, der "Fall" hingegen purer Unfug. Ein fettes Monster fängt andere Leute, sperrt sie in den Keller und läßt sie verhungern. Natürlich gibt es auch in der Realität nichts, was es nicht gibt. Und die Hunger-Metapher, die Ohnhold durch den ganzen Roman durchdekliniert, ist ganz hübsch in Zeiten von Bulimie und Fettleibigkeit, aber auch hier dominiert das bloß Konstruierte. Der Unhold ist dann auch nur eine Metapher, seine Verbrechen sind eine und die Aufklärung des Falles erst recht. Das ist zu dick, zu plakativ, zu gewollt. Chandler hat bekanntlich Hammett dafür gelobt, das Morden wieder den Leuten überlassen zu haben, die dafür Gründe haben. Dämmert allmählich ein Konsens herauf, dass diese Gründe partout psychopathologisch sein müssen? Wir wollen diesen Gedanken mal lieber nicht zu Ende führen...

Imperium Amüsanter, weil von gnadenloser Chuzpe, ist Robert Harris' Imperium (Heyne). Die Endphase der Römischen Republik als Grisham'scher legal thriller, natürlich mit dem Top-Anwalt der Zeit in der Hauptrolle: Marcus Tullius Cicero. Mitten im Machtkampf zwischen Pompeius, Crassus und Caesar will er Karriere machen und führt sich dabei auf wie eine US-amerikanische law firm. Klar, denn das Imperium Romanum ist das amerikanische Empire, Al Qaida manifestiert sich in Piraten, und die Kunst des Hysterisierens à la patriot act beherrschten schon die Römer gnadenlos gut. Vor Gericht werden Jurys bestochen und manipuliert, der vorsitzende Richter ist ein alter Knatterkopp, kurz: die Antike war genauso wie heute. Das ist ganz einfach lustig zu lesen. Geschichte, wie sie garantiert nicht war, aber eben unterhaltsamer. Wenn man genug davon hat, lese man z.B. Karl Christs Pompeius-Biographie (C.H. Beck), um ja nicht in Versuchung zu geraten, die geschmeidigen Surrogate und brüllkomischen Anachronismen von Harris für irgendwie bedenkenswert zu halten.

Auch einen historischen Aspekt haben die Inspector-Rutledge-Romane von Charles Todd. Sie spielen kurz nach dem Ersten Weltkrieg und Rutledge hat eine klassische Schützengraben-Neurose. In seinem Kopf siedelt nämlich auch Hamish, ein Untergebener, den Rutledge im Krieg hatte hinrichten lassen und mit dem er nun in schizophrener Symbiose leben muß. Kalte Hölle (Heyne) heißt der neue Fall, bei dem es die beiden ins unwirtliche Nordengland verschlägt, wo sie verhindern müssen, dass eine furchtbare Tragödie noch furchtbarer wird. Denn der Krieg ist zwar vorbei, aber die Kriegsfolgen wüten noch schrecklich unter den Menschen. Ein brillantes Konzept!

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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