legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 11/2007

 

Gefüllte Siebenschläfer

Ist Literaturkritik bestechlich? Ohne wenn und aber: Ja! Ich, zum Beispiel, lasse mich jederzeit von gutem Essen bestechen, sogar wenn's nur in Büchern liebevoll, sachkundig und respektvoll beschrieben wird. Das tut Christoph Wagner in Gefüllte Siebenschläfer (Haymon) aufs Köstlichste und liefert neben etlichen kulinarischen Highlights (zu denen die titelgebenden Nager glücklicherweise nicht gehören) das verführerische Porträt einer idyllischen Kleinstadt an der Adria - con Mord. Den Kriminalroman hat Wagner damit nicht neu definiert, aber das sei, siehe oben, wegen purer Lebens- und Mordslust verziehen.

Weniger verzeihlich ist da schon der Schwarm der Schätzing-Klone, der jetzt auf uns zu rauscht. Frisch aus dem Zuchtbecken langweilt Bernhard Kegel mit Der Rote (marebuchverlag). Sicherlich ein hochkompetentes Buch über Kalmare. Aber wenn ich etwas über Kalmare wissen möchte, lese ich ein Kalmar-Fachbuch, und will nicht mit einer Pseudo-Thriller-Handlung und Holzschnittfiguren gequält werden. Eher putzig sind dagegen die Viecher, die Cord Hagen in Der Schlund (Heyne) Leute verschnabulieren, am Schluß gar familienhygienisch lobenswert agieren lässt. Ziemlich sinnfrei, diese Veranstaltungen.

Der letzte Vampir

Nicht a priori sinnfrei müssen Vampir-Romane sein. Vor allem dann nicht, wenn sie mit cop-novels, Witz und Verstand kombiniert sind. David Wellington versucht ein solches genre-crossing mit Der letzte Vampir (Piper), aber herausgekommen ist leider nur eine blutspritzende Gewaltorgie ohne jeglichen Mehrwert für die vernunftbegabte Leserschaft. Für Leute, die sich für knall-hard-boiled in der Birne halten, mag's ein Stimulans zur Autobespermung sein. Lassen wir das...

Dabei gibt es Top-Trash: Russisches Abendmahl von Brent Ghelfi (Heyne Hardcore) ist so ein Fall - eine gewaltstrotzende Geschichte über einen russischen Profi-Gangster, der im Tschetschenien-Krieg traumatisiert worden ist und nun in einer zutiefst neurotischen und dito traumatisierten Gesellschaft überleben muss, die so krass überzeichnet ist, dass sie der Wirklichkeit recht nahe kommen könnte. Lupenrein demokratisch ist da gar nichts. Aber schon ein irres Buch!

Irre ist auch das Breslau-Projekt des polnischen Autors Marek Krajewski. Nach dem ersten Band, vor ein paar Jahren, hatte ich den Eindruck, er sei eine reine Devianz-Nummer. Jetzt, nach Band 3 der Tetralogie, Gespenster in Breslau (dtv) wird die Konzeption immer deutlicher, die hinter der Figur des Helden, des Kripo-Mannes Eberhard Mock steckt. Ein im Ersten Weltkrieg traumatisierter Soldat (s. o., scheint, auch wenn wir an Charles Todd denken, ein Topos der Kriminalliteratur zu werden), der als Polizist in prekärer Zeit prekär seinen Job macht und seine Obsessionen auslebt, weil er es in seinem Beruf kann. Das ist ungehobelt, unbequem, völlig unkorrekt, grobianistisch und sensibel und hochfaszinierend. Und eine - rückwärts erzählte - Chronik des »deutschen« Breslau aus polnischer Perspektive.

Eine Frage der Zeit

Faszinierend die Variante eines alten Themas, die Alex Capus in seinem neuen Buch vorlegt: Eine Frage der Zeit (Knaus). Es geht um das Schicksal der Götzen. Die war ein Dampfer, der 1913 im deutschen Papenburg gebaut, in Einzelteile zerlegt nach Afrika transportiert und am Tanganikasee wieder zusammengesetzt wurde. Sie sorgte während des Ersten Weltkriegs für Ärger und rief eine Gegenaktion der Brits hervor. Heute dampft sie immer noch auf dem See herum. Wir kennen Teile der Story aus dem Roman von C.S. Forester, resp. aus dem Film von John Huston: African Queen. Auch Alan Scholefield hat eine schöne Romanvariation geschrieben, Giles Foden das Sachbuch, und jetzt also, in seiner ruhigen, präzisen und souveränen, trocken-witzigen Prosa Alex Capus. Chapeau!

Apropos John Huston: Die sehr lesenswerte Autobiographie des grossen Regisseurs, dessen Werk zwischen den Polen Hammett und Joyce oszillierte, ist gerade unter dem Titel ...mehr als ein Leben bei Schüren erschienen.

Ein Klassiker in liebevoller, kompetenter und eleganter Aufmachung, ganz wie das Sujet es verlangt: Maurice Leblanc: Die Gräfin von Cagliostro oder Die Jugend des Arsène Lupin (Matthes & Seitz). Wie alles begann, mit dem Meisterdieb - aus dem surrealen Geist der Geheimbundromane des 18. Jahrhunderts.

Und ganz zum Schluß, weil wir gerade im 18. Jahrhundert sind, noch ein Grundlagenbuch für alle Arten von crime & violence: Die Nemesis Divina von Carl von Linné (Diogenes) - ein finsterer Traktat über die Unausweichlichkeit der göttlichen Vergeltung für üble Taten. Ein sinistrer Katalog der menschlichen Grausamkeiten, in einer vorbildlich lakonischen, präzisen Sprache ultracool aufbereitet von dem großen Systematiker der Naturwissenschaften, Carl von Linné. Erschaudere, oh Mensch!

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

« Leichenberg 10/2007       Index       Leichenberg 12/2007 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen